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Den Haag erhöht die Deiche

Mit einem neuen Ausländergesetz wollen die Niederlande die Flüchtlingszahlen senken / Anpassung an das Schengener Abkommen und die Restriktionen in Deutschland  ■ Aus Amsterdam Jeannette Goddar

Schon immer waren die Niederländer gut im Deichbau. Doch beschränkten sich ihre Abschottungsbemühungen bisher auf drohende Wassermassen, sollen sie nun auch auf Flüchtlinge angewandt werden. Mit den Stimmen der Koalition aus Christdemokraten, Liberalen und Sozialdemokraten verabschiedete die Zweite Kammer in Den Haag am Donnerstag ein neues Ausländergesetz. Das „Vreemdelingenwet“ wurde von einem führenden niederländischen Juristen als „diskriminierendstes Gesetz seit dem Zweiten Weltkrieg“ bezeichnet – ein Vergleich, den man in Deutschlands Nachbarland ungern hört.

Als Anpassung an das Schengener Abkommen sieht der Gesetzentwurf Abschiebungen von Asylbewerbern vor, deren Antrag in einem anderen Land bereits abgelehnt wurde. Außerdem wollen die Niederlande künftig keine Asylanträge von Flüchtlingen mehr bearbeiten, die aus einem sogenannten sicheren Drittstaat eingereist sind. „Illegale Einwanderer“ können mit Inkrafttreten des Gesetzes auf unbestimmte Zeit festgehalten werden. Sofort abgelehnt werden künftig „offensichtlich unbegründete“ Anträge sowie Anträge von Menschen mit falschen Papieren. Die Erstellung einer Liste von Ländern, in denen politische Verfolgung vermeintlich nicht stattfindet, konnte zwar von den Sozialdemokraten verhindert werden, ist aber weiter im Gespräch.

Heftigster Streitpunkt der Koalition war in den vergangenen Wochen das Berufungsrecht. Bisher konnte jeder abgelehnte Bewerber in mehreren Instanzen Berufung einlegen – eine Prozedur, die bis zu zwei Jahre dauerte. Zu teuer und zu langwierig, beschloß Justizminister Hirsch Ballin und verkürzte den Rechtsweg auf eine Instanz. Eine neu einzurichtende „Fremdenkammer“ beim Gericht in Den Haag sollte künftig allein über Anträge entscheiden, der Weg durch die Instanzen zum Staatsrat, dem obersten Verfassungsorgan, verwehrt werden. Sozialdemokraten, Juristen und Flüchtlingsorganisationen empörten sich, das Prinzip der Rechtsgleichheit verbiete, Ausländern nur Teilrechte zu gewähren.

Letztlich wurde der Gesetzentwurf modifiziert – herausgekommen ist dabei ein Kompromiß, den die linke Oppositionspartei D66 als „Schamlappen“ bezeichnet, um die Zustimmung der Sozialdemokraten zu erkaufen. Anstelle der Flüchtlinge selbst soll ab dem 1. Januar 1994 nur noch der Generalstaatsanwalt beim obersten Gericht Berufung gegen einen von der „Fremdenkammer“ abgelehnten Antrag einlegen dürfen – beispielsweise, wenn ein ähnlich gelagerter Fall eines anderen Flüchtlings positiv beschieden wurde.

Den Flüchtlingen selbst bleibt damit das Recht auf Berufung genommen. Eingeführt wurde in das neue Ausländergesetz eine Kategorie für „humanitäre Flüchtlinge“, die politischem Aufruhr in ihrer Heimat entkommen sind. Sie werden aufgenommen unter der Maßgabe, in ihr Land zurückzukehren, sobald sich die Lage dort beruhigt hat. Aus dem ursprünglichen Gesetzentwurf gestrichen wurde die obskure Idee, Asylbewerbern 50 Gulden (etwa 45 DM) Bearbeitungsgebühr abzuknöpfen.

Das neue Ausländergesetz wurde in Den Haag auch mit Blick auf die Asylrechtsverschärfung bei den Nachbarn verabschiedet. Es sei damit zu rechnen, daß künftig mehr Flüchtlinge statt in Deutschland in den Niederlanden ihr Glück versuchen würden, argumentierten besonders die Christdemokraten. Tatsächlich wird die Zahl der Asylbewerber von 20.000 in 1992 (von diesen 20.000 Anträgen wurden immerhin 12.000 positiv beschieden) in diesem Jahr vermutlich auf 40.000 ansteigen. Im wesentlichen wurde dieses Wachstum durch die anhaltende Gewalt in Ex-Jugoslawien und Somalia hervorgerufen – also durch Bewerber, denen auch künftig der Aufenthalt im Land nicht verwehrt werden kann. Die Zustimmung der Ersten Kammer zu dem Gesetz steht noch aus.

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