„Die anderen Länder verstehen China nicht“

■ Peking reagiert enttäuscht und trotzig auf die Olympia-Entscheidung

Peking (taz) – Für ein paar Minuten dachten die Einwohner Pekings, sie hätten das Rennen gemacht: Olympia 2000 in ihrer Stadt. Sie hatten bei der Live- Übertragung aus Monte Carlo das Wort „Peking“ aufgeschnappt, und geglaubt, das wäre der Sieg. Das Fernsehen zeigte Massen von Menschen, die ihre Freude hinausschrien und sich umarmten. Eine Kapelle fing an zu spielen; Tänzer begannen einen Löwentanz, der in China traditionell bei Feiern aufgeführt wird. Nur ein paar Minuten später war allen das fürchterliche Mißverständnis klargeworden. Der Sieger hieß Sydney. „Wir haben verloren, weil die anderen Länder China nicht wirklich verstehen“, meinte ein Büroangestellter. „Wir sind ein Entwicklungsland und können mit Sydney nicht mithalten“, sagte ein anderer.

Für Peking ist die Niederlage im Ringen um Olympia 2000 schwerer wegzustecken als für alle Mitbewerber: China sah die Olympischen Spiele als ideales Mittel, die brutalen Bilder von 1989 vergessen zu machen und wieder zu einem respektierten Mitglied der Weltgemeinschaft aufzusteigen. Seine Herrscher hatten wütend reagiert, als nicht nur das amerikanische Repräsentantenhaus, sondern auch das Europaparlament und der britische Außenminister Hurd Pekings Bewerbung mit dem Hinweis auf Menschenrechtsverletzungen ablehnten.

Die Retourkutsche kam prompt. Auf den Titelseiten der nationalen Zeitungen prangte gestern eine 11 Jahre alte Nachricht: ein Zitat Deng Xiaopings, der 1982 gesagt hatte, China hole sich Hongkong auch schon vor 1997 zurück, falls dort Chaos ausbreche. Diplomaten interpretierten das als Zeichen von Chinas Enttäuschung über die IOC-Entscheidung und als Indiz dafür, daß die Gespräche mit Großbritannien über die Zukunft Hongkongs feststecken. Knackpunkt der Verhandlungen, die heute wieder aufgenommen werden, sind Gouverneur Chris Pattens Pläne für ein demokratischeres Honkong – Pläne, die China rundheraus ablehnt.

China hat Unmengen von Geld und Zeit in seine Bewerbung für Olympia 2000 investiert. Die Suche nach dem Sündenbock wird nun beginnen. Die Köpfe einiger Funktionäre werden rollen, auch weitere Ausfälle gegen den Westen sind wahrscheinlich. Catherine Sampson