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Zum Nachteil Afrikas

Die Lage in Rußland lenkt den Internationalen Währungsfonds von der Weltwirtschaftskrise ab / Finanzminister-Treffen der G7  ■ Von Donata Riedel

Berlin (taz) – Das noch freundlichste Wort der Wachstumsexperten über den derzeitigen Zustand der Weltwirtschaft ist „schwach“. Wie schlecht die Lage tatsächlich ist, illustriert der neueste Bericht des Internationalen Währungsfonds (IWF) über die „Aussichten der Weltwirtschaft“. Darin werden ausgerechnet die Entwicklungsländer zu Hoffnungsträgern gemacht. Denn einige von ihnen – China und Indien, die südostasiatischen Schwellenländer und Lateinamerika (außer dem größten Land Brasilien) – können in den nächsten zwei Jahren mit deutlich mehr Wirtschaftswachstum rechnen als die Industrieländer. In diesem Jahr soll das Bruttosozialprodukt (die Summe aller in Geld auszudrückender Wirtschaftstätigkeit) der Dritten Welt um 6,1 Prozent wachsen, das der 24 Industrieländer hingegen nur um 1,1 Prozent. Daraus Hoffnungen für die ganze Welt abzuleiten kann wohl nur den Managern des IWF einfallen, die für ihren Berufsoptimismus berühmt sind und seit 1991 ihre Prognosen immer wieder nach unten korrigieren mußten.

Drei Viertel aller Produktion von Waren und Dienstleistungen entfallen auf die Industriestaaten, die sich außer den USA und Großbritannien in der Rezession befinden. Wo so wenig Wirtschaftskraft vorhanden ist, wie in den Entwicklungsländern, bedeuten auch höhere Wachstumsprozente absolut gesehen nicht allzuviel. Zudem müssen sie für fast alle Dritte- Welt-Länder wegen des Bevölkerungswachstums nach unten korrigiert werden. Außerdem haben sich sämtliche IWF-Wachstumsprognosen in den vergangenen drei Jahren als zu optimistisch erwiesen.

Das geringe Wirtschaftswachstum wird kommende Woche im Mittelpunkt der Jahrestagung von IWF und Weltbank stehen. In Washington treffen sich zum Großereignis der Weltfinanz die 24 Finanzminister und 24 Notenbankchefs, die den IWF zwischen den Vollversammlungen leiten (Interimsausschuß). Traditionell reisen auch sämtliche Größen der privaten Finanzwelt, darunter die Vorstände von Deutscher, Dresdner und Commerzbank, zwecks Kontaktpflege und Einflußnahme nach Washington.

Vor der offiziellen Eröffnungszeremonie am Dienstag stellen bereits heute die Finanzminister und Notenbankchefs der sieben reichsten Industriestaaten (G7) die Weichen für die Politik von IWF und Weltbank für das nächste Jahr. Denn die USA, Japan, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien und Kanada verfügen als die größten Geldgeber über die Stimmenmehrheit in den Internationalen Finanzorganisationen mit ihren 178 Mitgliedsstaaten: Wer zahlt, bestimmt.

Wie die Weltwirtschaft, vor allem die Volkswirtschaften der Industrienationen, auf einen Wachstumspfad gelangen können – darüber sind sich die G7 untereinander höchst uneins. IWF-Direktor Michel Camdessus schlägt ihnen vor, sich auf den Welthandel zu konzentrieren und endlich das liberalisierte Welthandelsabkommen abzuschließen, über das die 108 Gatt-Mitgliedsstaaten seit sieben Jahren verhandeln. Weltweit – und vor allem in den Industrieländern – müßten Zoll- und Handelsschranken abgebaut werden, um die Weltkonjunktur anzukurbeln, fordert Camdessus.

Doch der Abschluß eines erneuerten Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens (Gatt) ist seit Dienstag wieder in weitere Ferne gerückt: Zuerst will jetzt die EG auf Druck Frankreichs die bereits erzielten Kompromisse mit den USA über Agrarexportsubventionen neu verhandeln. Mehr als ein neues Lippenbekenntnis zum „erfolgreichen Abschluß der Gatt- Verhandlungen noch in diesem Jahr“ ist daher auch von der IWF- Jahrestagung nicht zu erwarten.

Daß die G-7-Finanzminister und Notenbankchefs nicht völlig den Eindruck haben müssen, in Washington mit Hochgeschwindigkeit auf der Stelle zu treten, verdanken sie Boris Jelzin. Statt über die komplizierte Weltlage können sie nunmehr intensiv darüber debattieren, wie schnell sie sämtliche blockierten internationalen Hilfsmilliarden nun doch noch an Rußlands Reformer auszahlen wollen.

Dagegen allerdings dürfte sich das IWF-Management sträuben. Es hatte sich nach dem Referendum überreden lassen, eine erste Kredittranche aus dem Rußland- Sonderfonds (namens System- Übergangsfazilität) zu überweisen. Danach aber, so ein IWF-Vertreter diese Woche, sei Rußland wieder „vom rechten Weg abgekommen“. Bevor eine zweite Tranche gezahlt werde, müßten erst „harte Haushaltsmaßnahmen getroffen und die Hyperinflation bekämpft werden“.

Den Nachteil der Dominanz des Themas Rußlandhilfe hat – wieder einmal – Afrika. Oxfam, eine multinationale Initiative für eine gerechtere Welt, erinnerte anläßlich der IWF-Jahrestagung daran, daß jährlich zehn Milliarden US-Dollar aus Afrika für den Schuldendienst in die Industrieländer fließen – ein Viertel sämtlicher Exporterlöse dieser Länder. Der afrikanische Schuldenberg wächst trotzdem weiter: auf 183 Milliarden Dollar im Jahr 1992, das ist dreimal soviel wie 1980.

Während die Weltbank bereits erkannt hat, daß eine „substantielle Schuldenstreichung“ unumgänglich sei, beharrt der IWF weiter auf Erfüllung des Schuldendienstes. Doch Afrika, so der Oxfam-Bericht, leide nicht nur unter einer temporären Liquiditätskrise, sondern sei schlicht pleite.

Die Volkswirtschaften des schwarzen Kontinents werden laut IWF-Prognose 1993 nur um 1,6 Prozent und 1994 um 2,6 Prozent wachsen – nicht genug, um die wachsende Bevölkerung zu ernähren und gleichzeitig den Schuldenberg abzutragen.

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