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Sozialkürzungen werden immer wahrscheinlicher

■ SPD lehnt im Bundesrat Kürzungen „nicht generell“ ab / Länder in der Zwickmühle

Berlin (taz) – Langsam, aber sicher kommen die Spargesetze der Bundesregierung. Bei der Debatte um den Bundeshaushalt 1994 im Bundesrat verzichtete die SPD-Mehrheit gestern überraschend darauf, die geplanten Gesetzesänderungen bei Sozialleistungen in Bausch und Bogen zu verurteilen. Der saarländische Ministerpräsident Oskar Lafontaine erklärte, die SPD lehne Kürzungen nicht generell ab.

Vor der Debatte hatten die Bundesrats- ausschüsse noch eine grundsätzliche Ablehnung der geplanten Änderungen und scharfe Kritik an Einzelmaßnahmen gefordert. Doch daraus wurde nichts. Statt dessen nahm die Länderkammer einen Kompromißantrag der SPD/FDP-Landesregierung von Rheinland-Pfalz an, der so milde war, daß er in vielen Punkten auch von den unionsregierten Ländern unterstützt wurde. Darin „bedauert“ der Bundesrat lediglich, daß die Bundesregierung von der Solidarpaktvereinbarung vom Frühjahr abweiche, soziale Regelleistungen nicht zu kürzen.

Es sei zu befürchten, daß die Häufung von Kürzungen im Sozialbereich und bei den Lohnersatzleistungen zu einem Rückgang der Konsumnachfrage führe, formulierte die Länderkammer vorsichtig. Lafontaine hatte zuvor eine „Kurskorrektur“ bei den Einsparungen gefordert.

Einhellig abgelehnt wurde im Bundesrat die Abschaffung des Schlechtwettergeldes und die Begrenzung des Bezugs von Arbeitslosenhilfe auf zwei Jahre. Gerade der letzte Punkt träfe die Länder hart, denn durch das Abgleiten der Arbeitslosenhilfeempfänger in die Sozialhilfe entstünden ihren Kommunen Mehrbelastungen von vielen Milliarden Mark.

Einige Maßnahmen des Sparpaketes der Bundesregierung benötigen allerdings keine Zustimmung des Bundesrates: die Senkungen beim Arbeitslosengeld, die Begrenzung bei der Arbeitslosenhilfe und die Streichung des Schlechtwettergeldes am Bau, genauso wie die Einschränkungen beim Kindergeld, die Erhöhung der Mineralölsteuer um 16 Pfennig pro Liter Benzin beziehungsweise um sieben Pfennig pro Liter Diesel.

Die Kürzungen bei der Sozialhilfe müssen dagegen im Bundesrat eine Mehrheit erhalten. Gerade hier sind die SPD-regierten Länder in der Bredouille. Sie wollen die Sozialhilfeempfänger nicht schlechterstellen. Andererseits sind die Kommunen gar nicht in der Lage, noch mehr Sozialhilfe zu finanzieren.

Als Alternativen zu sozialen Einsparungen schlugen die Länder gestern unter anderem vor, Einkommensausgleich und Anpassungshilfen für die Landwirtschaft ab 1994 zu streichen. Dabei geht es vor allem um den sogenannten Mehrwertsteuerausgleich in Höhe von drei Prozent, der den Bund nach Angaben der Länder jährlich knapp eine Milliarde Mark kostet.

Jetzt geht das Gesetzespaket noch einmal in den Bundestag, im November oder Dezember stimmt dann der Bundesrat in einem zweiten Durchgang ab. Ist er mehrheitlich gegen das Paket, wandern die zustimmungspflichtigen Gesetze in den Vermittlungsausschuß von Bundestag und Bundesrat. BD Siehe auch Seite 2

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