: Jelzin läßt seine Gegner umzingeln
■ Wird das Parlamentsgebäude doch gestürmt? Jelzins Ultimatum lief gestern nacht ab
Moskau (taz/AP/dpa) – Boris Jelzin hat seinen Gegnern ein Ultimatum gesetzt: Bis Samstag 0 Uhr sollten sie ihre Waffen abliefern, sonst würden die Truppen des Innenministeriums das „Weiße Haus“ stürmen. Das Gebäude des russischen Parlaments, in dem zur Zeit der Volksdeputiertenkongreß tagt, war bereits am Freitag nachmittag von Soldaten abgeriegelt worden. Mit diesen Maßnahmen reagiert Jelzin auf einem Überfall einer bewaffneten Gruppe auf das GUS-Hauptquartier.
Die Volksdeputierten schienen freilich nicht bereit, kampflos aufzugeben. Der für die Verteidigung des Parlaments verantworliche Wladislaw Otschalow ließ Meldungen dementieren, daß Anhänger der Opposition bereits ihre Waffen abgegeben hätten. Mit mehr als 500 Soldaten gelang es der russischen Regierung außerdem, eine Versammlung reformfeindlicher Offiziere im Norden Moskaus zu verhindern.
Die Moskauer Medien hatten erst am Freitag vormittag die Bevölkerung von den Ereignissen des Vorabends informiert: Als eine Gruppe 116 teilweise bewaffneter Männer versucht hatte, in das Hauptquartier der GUS-Streitkräfte einzudringen, waren zwei Menschen erschossen worden. Eine 64jährige Anwohnerin, die am Fenster stand, wurde von einer Kugel in die Brust getroffen, ein Polizist wurde gezielt erschossen, ein zweiter bewußtlos geschlagen. Für die Organisation des Überfalls soll der Chef der nationalistischen Offiziersunion, Stanislaw Terechow, verantwortlich sein. Er wurde bei dem Versuch, in eines der Objekte des Verteidigungsministeriums einzudringen, festgenommen.
Zur besseren Verteidigung des GUS- Hauptquartiers sowie des Verteidigungsministeriums sollen jedoch zunächst keine Soldaten eingesetzt werden. Wie Verteidigungsminister Gratschow mitteilte, seien an die vor den Gebäuden postierten Polizeibeamten Schnellfeuerwaffen verteilt worden. Der stellvertretende Verteidigungsminister Kobets sagte, er habe den Befehl erteilt, daß bei Vorfällen wie dem vom Donnerstag abend scharf geschossen werden solle. Dem Vernehmen nach wurde den Sicherheitskräften erlaubt, auch tödliche Schüsse abzugeben, wenn sie selbst angegriffen werden.
Zugleich beschuldigte Gratschow den Parlamentsabgeordneten Viktor Ampilow und den pensionierten General Makaschow. Sie hätten in der Nacht vor dem Weißen Haus verkündet, daß das „Ziel Nr. 41, der Sitz des Generalstabes der GUS- Streitkräfte“ eingenommen worden sei. Dies beweise, daß sie zu den Organisatoren des Angriffes gehörten.
Am Freitag vormittag ordnete Jelzin dann Gegenmaßnahmen an: Mit einem Dekret befahl er, „Maßnahmen zu ergreifen, um die Personen zu entwaffnen“, die im und um das Weiße Haus versammelt sind. Zuvor war bekanntgeworden, daß die über 1.000 Menschen, die vor diesem Gebäude ausharren, sich in bewaffnete „Selbstverteidigungseinheiten“ organisieren. Bei einem Überfall auf eine Waffenfabrik am Donnerstag hatte eine Gruppe der Offiziersunion 400 Gewehre erbeutet, unter den Volksdeputierten waren rund 100 Waffen verteilt worden.
In einer Warnung an die Abgeordneten ließ Jelzin erklären, diejenigen, die seine Anweisungen mißachteten und die unerlaubt Waffen mit sich führten, würden bestraft. Außerdem ließ der Präsident die Versorgung des Parlamentsgebäudes mit warmem Wasser unterbrechen und die meisten Telefonverbindungen für die Abgeordneten kappen.
Denjenigen Mitgliedern des Kongresses, die sich an seine Anordnung über die Auflösung des Parlaments halten, versprach er andererseits Vorteile. So sollen sie ihre Wohnungen in Moskau behalten können, auch wurden ihnen die Auszahlung eines Jahresgehalts und Posten in der staatlichen Industrie in Aussicht gestellt. Für den heutigen Samstag kündigte der Präsident eine Sitzung der Verfassungskonferenz an. Seite 8
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