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Hilfe für Zappelphilipp

■ Treffen von rund 300 Eltern mit hyperaktiven Kindern in Hannover

Zappelphilipp, Klassenkasper, Prügelknabe. Fast jeder kennt ein solches Kind. Doch nur wenigen ist bekannt, daß hinter der extremem Unruhe, der ständigen Unkonzentriertheit und der großen Impulsivität von Kindern eine Krankheit stecken kann: Das Hyperkinetische Syndrom, das zum überaktiven Kind führt.

Rund 300 betroffene Eltern trafen sich am Wochenende in Hannover zu einem Symposium des Arbeitskreises Überaktives Kind (AÜK), um gemeinsam über Möglichkeiten der Diagnose und Therapie zu beraten.

„Mein Felix war schon als Baby immer unruhig, schrie ständig und war durch nichts zu beruhigen,“ erzählt Sabine Bernau, Mutter von drei überaktiven Kindern. „Alle drei waren ununterbrochen in Bewegung, reagierten immer blitzschnell und unkontrolliert.“ Die hilflose Mutter wandte sich an Ärzte und Therapeuten. Doch keiner konnte weiterhelfen. Das Hyperkinetische Syndrom ist selbst in Fachkreisen noch heute nahezu unbekannt.

Dabei leiden nach Schätzung der AÜK drei bis zehn Prozent aller bundesdeutschen Kinder an dieser Krankheit. Eine gestörte Wahrnehmung der Realität, notorische Unruhe, mangelnde Impulskontrolle und fehlende Selbstkontrolle kennzeichenen das überaktive Kind. „Die Kinder können die Folgen ihres Handelns nicht abschätzen und lernen auch nicht aus ihren Erfahrungen“, unterstreicht der Kinderpsychologe Dr. Franz Joseph Freisleder.

Eine Diagnose der Krankheit, die durch eine Funktionsstörung des Gehirns verursacht wird, ist schwierig. Wirken doch die Kinder auf den ersten Blick einfach nur temperamentvoll und fröhlich.

Nur mit speziellen Fragenbögen und Tests kommen die Ärzte der Krankheit auf die Spur. Auch die Ursache der Erkrankung steht noch nicht fest. Experten vermuten Nahrungseinflüsse und psychosoziale Probleme, schließen auch die Vererbung als Überträgerin nicht aus.

„Eine frühe Diagnose ist sehr wichtig“, unterstreicht Sabine Bernau. Die Eltern seien oft völlig hilflos und voller Schuldgefühle. „Alle meinten doch, meine Kinder sind so unkontrolliert, weil ich sie falsch erziehe,“ erinnert sie sich. Nur durch Zufall erfuhr die Mutter, daß ihre inzwischen erwachsenen Kinder an einer Krankheit leiden.

Heute steht Eltern und Kindern ein breites Therapieangebot zur Verfügung. Dazu gehören neben einer medikamentösen Behandlung auch die psychologische Betreuung und eine spezielle Diät. Tips hierzu gibt die Beratungsstelle der AÜK in Hannover.

Schon praktische Hilfen wie ein genau strukturierter Tagesablauf und die Förderung lebenspraktischer Fähigkeiten können dem Kind helfen, besser mit seiner Umwelt zurecht zu kommen. Auch die Eltern müssen lernen, mit ihrem Kind umzugehen. „Wir müssen ihnen klar machen, daß ihr Kind krank ist und deshalb anders reagiert,“ sagt Psychologin Cordula Neuhaus. „Erst wenn wir den Wahrnehmungsstil der Kinder verstehen, können wie ihnen helfen,“ betont sie.

Anette Jürgensmeier

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