Sanssouci: Vorschlag
■ Japanische Tanzgruppe „Pappa Tarahumara“ in der Volksbühne
Robert Wilson steht sicherlich bei mehr als einer Tanztheatergruppe als geistiger Übervater Pate. In Berlin ist es Jo Fabian, der mit seiner Truppe im Theater unterm Dach arbeitet. Daß sich auch in Japan die eine oder andere Gruppe stilistisch an Wilson orientiert, kann man zur Zeit an der Tanzgruppe Pappa Tarahumara sehen. Die Berliner Festwochen präsentieren mit Pappa Tarahumara nach den traditionellen japanischen Theaterformen – Kabuki und No – und dem klassisch orientierten Tokyo Ballet nun die Theateravantgarde. „Bush of Ghosts“, das in den vergangenen beiden Tagen als erstes von zwei Programmen in der Volksbühne zu sehen war, ist vor allem ein Spiel mit Objekten.
Visuelles und Architektonisches werden zur Universalsprache von Bildern und Bewegungen. Wilson wird (oder wurde) für seinen sogenannten „Mehrfach-Symbolismus“ gerühmt, die Fähigkeit, Bilder zu präsentieren, die mehrere Interpretationen gleichzeitig zulassen. Die Pappa Tarahumaras wollen sich diesen Modus operandi zu eigen machen. In zeremoniell verhaltenen Bewegungen werden Objekte durch den Raum getragen oder bewegen sich wie von selbst über die Bühne. Ein permanenter Prozeß des Verschwindens wird in Gang gesetzt.
Die Gegenstände erhalten ein magisches Eigenleben – die Tänzer hingegen scheinen seltsam unbeseelt. Als lebende Zeichen bewegen sie sich weich fließend, als seien sie unter Wasser, oder mit scharf abgehackten Gesten: Nicht mehr als der jeweilige Erregungszustand ist ablesbar. Wer spielt mit wem, die Tänzer mit den ständig wechselnden Objekten oder die Objekte mit den ständig die Kostüme wechselnden Tänzern? Nach einer überdimensionalen Fischgräte, nach diversen Vögeln und Büschen, die sich allesamt zu einem Ensemble formieren und wieder auseinanderbewegen, ist die Bühne am Ende vollgestellt mit wie aus weißem Holz geschnitzten Gegenständen, die Bruchstücke eines nicht zu erkennenden Ganzen sind und in groteske Spielzeuge verwandelt werden. Zur Bank, auf der man sich lasziv rekeln kann, und zum Dreirad, auf dem man mit kindischer, wieselhafter Geschwindigkeit über die Bühne fährt. Doch die disperate Welt wird am Ende zu einem Ganzen zusammengefügt: Aus den einzelnen Teilen entsteht in Minutenschnelle eine Kugel, die nicht von ungefähr an einen Globus erinnert, gigantisch groß, wie der Gummiball, der an anderen Abenden in Castorfs „Alkestis“- Inszenierung ähnlich magisch über die Bühne hüpft. Allerdings wird das Spiel mit den „Mehrfachsymbolen“, die der Regisseur Hiroshi Koike in „Bush of Ghosts“ mittels zahlloser Gegenstände auf die Bühne bringt, leider nicht zum Undechiffrierbaren, sondern eher zum Beliebigen. Der Wille zum Postmodernen verkommt zum sich selbst beweihräuchernden Gestus. Michaela Schlagenwerth
Heute und morgen mit „Parade“ um 20 Uhr in der Volksbühne.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen