Vorschlag

■ „Kabuki – Die Geschichte der 47 Samurai“ in der Deutschen Oper

Am Anfang war das Schwert: Aus mehreren Lagen von Stahlsorten verschiedener Härtegrade, gehämmert, erhitzt und immer wieder gefaltet, bis es endlich aus Tausenden feiner Schichten bestand. Ein Schwert, so hart und rasiermesserscharf, daß es Rüstungen durchschneiden konnte, aber in seinem Inneren so weich, daß es kaum jemals zerbrechen konnte: Heavy Metal. Die japanische Kunst dieser Schwertanfertigung wurde im Abendland erst im vergangenen Jahrhundert entdeckt; in Japan war das Schwert Symbol der Samurais und schon in vorbuddhistischer Zeit Emblem der Göttlichkeit des Kaisers. Mit „Kabuki – Die Geschichte der 47 Samurai“, choreographiert von Maurice Béjart, gastiert das Tokyo Ballet nach 1986 schon zum zweiten Mal an der Deutschen Oper Berlin. Das Schwert spielt eine zentrale Rolle in diesem Ballett: Von einer schwarzen Gestalt in eine Freizeitgesellschaft hereingetragen, die sich ganz dem Konsum unzähliger Fernsehübertragungen von Sportereignissen hingibt und gelangweilt zu Heavy-Metal-Rock tanzt, ist es ein Einbruch der Vergangenheit in die Gegenwart. Die Zeiten vermischen sich, und aus den gelangweilten Jugendlichen werden Samurai- Krieger. Die Fernseher verschwinden, die tragische Geschichte zweier Liebespaare und der 47 getreuen Samurai, die sich nach der Rache für ihren Herrn selbst entleiben, nimmt ihren Lauf.

Eines der traditionellen Meisterwerke des Kabuki-Theaters, „Die Rache der 47 Ronin“, diente Béjart als Vorlage für sein Ballett. Aber er hat nicht nur die Geschichte, sondern zu großen Teilen auch Bewegungselemente aus dem Kabuki und No übernommen und auf grandiose Weise mit dem klassischen Ballettrepertoire vermischt. Die Tänzer gehen, und dennoch scheint es, als ob sie auf der Stelle stehen würden; sie gleiten in einem erstarrten und doch kontinuierlichen Schritt, bei dem sie niemals die Fersen vom Boden heben. Während ihr Gatte auf Befehl von oben „Seppuko“ begeht („Bauch aufschlitzen“, ritueller Selbstmord), gleitet auf diese Weise die Fürstin Kaoyo (Mika Yoshioka) mit einem Blumenzweig unendlich langsam über die Bühne. Im Moment seines Todes bleibt sie stehen, und fortan bewegt sie sich mit der immer gleichen Langsamkeit, die die Zeit zum Stillstand bringt – mit der Blume in der Hand, von der Blüten abfallen und die bald nichts mehr ist als ein dürrer Zweig. In einem poetischen und ausdrucksstarken Solo tanzt Naoki Takagishi seinen Kampf mit dem Geist des Verstorbenen: Erst wenn die Untat, die immer neues Unglück nach sich zieht, gerächt ist, kann der Geist des Toten Frieden finden – am Schluß erscheint der Geist mit einer weißen Maske vor dem Gesicht und holt sich den Kopf des erschlagenen Bösewichts: Nicht den Lebenden wird geholfen, sondern den Toten. Die Witwe wird bis ans Ende ihrer Tage weiter trauern, und erst nach ihrem Tod wird sie vielleicht einen Lebenden finden, der sie durch seine Taten von ihrem Gram befreit.

Ein Europäer inszeniert mit einer japanischen Gruppe ein traditionell japanisches Stück mit den Ausdrucksmitteln des Abendlandes: dem Ballett. Vielleicht wird so der Exotismus auf besondere Weise bedient, das aber mit ästhetischer Brillanz. Michaela Schlagenwerth

Täglich bis zum 3.10. um 19.30 Uhr in der Deutschen Oper.