Der erste Tiergarten-Tunnel wackelt

■ Senat will auf die S-Bahn-Linie 21 verzichten / Nach Berechnungen würden zuwenig Fahrgäste die Linie nutzen / Deshalb gebe es auch kein Geld aus Bonn / SPD will Geld lieber in die Tram investieren

Der erste von insgesamt vier geplanten Tunneln unter dem Tiergarten wackelt. Aller Voraussicht nach wird der Senat auf seiner Sitzung am kommenden Dienstag den Verzicht auf den S-Bahn-Tunnel beschließen – nur noch Eisenbahn-, U-Bahn- und Straßentunnel sollen gebaut werden. Diese Woche hatte die Landesregierung das Thema kurzfristig noch einmal verschoben.

Hintergrund des Verzichts: Nach Berechnungen werden so wenig Fahrgäste mit der S-Bahn- Linie 21 fahren, daß die Kosten für den Tunnel in keinem Verhältnis zu seinem Nutzen stehen. Auf Grund des geringen Nutzens könnte Berlin keine Bundesmittel für den Bau der Linie, die vom Gleisdreieck über den Lehrter Bahnhof zum Nordring und weiter zum Flughafen Tegel verlaufen sollte, in Anspruch nehmen.

Falls Berlin den S-Bahn-Tunnel dennoch realisieren will, werde Bonn beim viergleisigen Eisenbahntunnel abspecken, drohte das Bundesverkehrsministerium gegenüber der taz. Denn eine Regionalbahn in Nord-Süd-Richtung sei nicht nötig, wenn Reisende auch mit der neuen S-Bahn aus Richtung Bernau und Oranienburg kommen könnten. Dann wären statt der vier Gleise zwei für den Eisenbahnverkehr ausreichend. Ohne viergleisigen Fernbahntunnel wäre allerdings Berlins gesamte Eisenbahnplanung in Gefahr. Im Bundesministerium wurde angedeutet, daß Berlins Planung „neu überdacht“ werden müsse.

Durch einen Verzicht auf die S-Bahn-Linie 21 werden sich die gesamten Planungen der Tunnelanlagen unter dem Tiergarten verzögern, erwartet die Bauverwaltung. Das Planfeststellungsverfahren würde statt wie angekündigt am 1. November erst vier Monate später eröffnet werden. Der Spatenstich für die Tunnelbauten – vorgesehen für die zweite Jahreshälfte 1995 – wäre mit Sicherheit ebenfalls nicht zu halten, so die Planer. Dadurch, daß der Bau der Tunnel aber ohne die S 21 „nicht mehr ganz so kompliziert“ sei, werde man den Zeitverzug bis zum Termin der Fertigstellung 1997 jedoch wieder aufholen können, wurde behauptet.

Bei einem Verzicht auf die S 21 könnte knapp eine Milliarde Mark gespart werden. Ohne die neue Linie müßten Fahrgäste zwischen Papestraße und Lehrter Bahnhof die parallel verlaufenden S-Bahn- Linien S 1 und S 2 sowie die noch zu bauenden Regionalbahnverbindung in Nord-Süd-Richtung und die geplante U-Bahn-Linie 5 nutzen.

Die SPD ist dafür, das eingesparte Geld besser in den Nordring oder den Ausbau der Straßenbahn zu investieren, sagte Käthe Zillbach, verkehrspolitische Sprecherin der Fraktion der taz. Auch Bündnis 90/Grüne begrüßen in einer Erklärung das „Stoppsignal aus Bonn“. Michael Cramer, verkehrspolitischer Sprecher der Fraktion, forderte den Senat auf, jetzt auch das Pilzkonzept zurückzuziehen, weil seine Verwirklichung zu teuer sei. Thomas Knauf