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Ciao Anarchici Von Thomas Pampuch

1984, als die alte Zukunft vorbei war und die neue auch schon nicht mehr das, was sie einmal mal war, trafen sich in Venedig einige tausend muntere Gesellinnen und Gesellen und nahmen die Lagunenstadt friedlich in Besitz. Auf dem Campo San Polo und dem Campo Santa Margherita waren Zelte errichtet worden, es gab Essen und Trinken, Musik und Tanz, überall wurde diskutiert, gesungen, gefeiert.

Im Gebäude der Architekturfakultät saßen allerlei verdiente Theoretiker, Kämpfer und Kämpferinnen der libertären Bewegung und redeten sich die Köpfe heiß. Es ging um die „Ware, die das Ego kolonisiert“, um „die Auflösung und den Verfall der Arbeit“, um klassische Insurrektionsmodelle und neue Formen libertärer Betätigung, um grassroots und um den „anarchistischen Geist“, der mindestens genauso wichtig sei wie die Bewegung selbst. Den „Abschied vom Anarchisterich mit dem Attentatterich (Erich Mühsam)“ konstatierte damals die taz. Der freilich war schon immer eher ein bürgerliches Schreckgespenst als anarchistische Wirklichkeit.

Venedig '84 ging als eine Art libertäres Woodstock in die Annalen der anarchistischen Bewegung ein. „Das Treffen hatte nichts mit einem Kongreß gemein; es wurden keine Resolutionen verabschiedet, und niemand war irgend jemandes Delegierter“, stellte der Bildband „Ciao Anarchici“ fest, der ein Jahr später das große Fest dokumentierte. Der Sinn und Zweck des Ganzen lag im Treffen selbst, im networking, so lautete der damals gerade frisch gebackene Begriff.

Neun Jahre hat es gedauert, bis wieder ein internationales Anarchistentreffen zustande gekommen ist. Unter dem (katalanischen) Titel „Anarquisme, Exposici internacional“ findet es derzeit (bis zum 10. Oktober) in Barcelona statt.

Was ist aus dem Anarchismus seither geworden? Nimmt man die organisierte Bewegung, sicherlich nicht die Welt. Aber gehört nicht die Losung „small is beautiful“ ohnehin zum anarchistischen Credo? Nimmt man den „anarchistischen Geist“, so ist er im Gegensatz zu seinen alten Antipoden innerhalb der Linken, den dogmatischen Parteimodellen, zumal den staatssozialistischen, gewiß nicht auf dem Müllhaufen der Geschichte gelandet. Die von ihm mitbefeuerten „Grassroots“- und alternativen Bewegungen haben den Sturz des „realen Sozialismus“ unbeschadet überlebt, hier und dort sogar kräftig daran mitgewirkt.

Grund zu Triumph für die Libertären? Wohl kaum, wenn man sieht, was an brauner Soße allein aus dem poststalinistischen Müll wabert. Müllhaufen sind gefährlich, ganz besonders die der Weltgeschichte. Bisweilen entstehen neue gefährliche Verbindungen mit anderem Müll, der dort bereits gelagert ist. Da mutieren Parteikommunisten zu Nationalisten und Faschisten, FDJler zu Rechtsradikalen. Die braven Bürger eines „sozialistischen“ Gemeinwesens verkommen zuweilen zu ethnischen Säuberern.

Näher ist die friedliche anarchistische Utopie nicht gerückt in den 90er Jahren. Vielleicht wird es in Barcelona deshalb nicht ganz so fröhlich zugehen wie in Venedig. Oder vielleicht gerade — nach dem Motto: jetzt erst recht? Auf jeden Fall gibt es viel zu tun für den Anarchismus. Denn noch nie war er so wertvoll wie heute.

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