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Redselige Hysteriker

■ Werner Schroeter inszeniert O'Neills „Trauer muß Elektra tragen“ in Düsseldorf

Gattenmord und Sohnesrache, Muttermord und Geschwisterliebe – nichts fehlt. Dem Handlungsmuster von Aischylos' Orestie folgend, setzt O'Neill nur an die Stelle des Schicksals und der Götter die Familie und die Triebe. Die Wiedergeburt der Tragödie aus dem Geist der Psychologie, heißt es, sei O'Neills Elektra-Trilogie. Die Wiedergeburt des Melodramas aus dem Geiste der Oper ist Werner Schroeters Düsseldorfer Inszenierung.

Zur Faszination durch die Schönheit des Schrecklichen wie in den fünfziger und frühen sechziger Jahren taugt das Stück heute nicht mehr. Die Lust auf Tragik, die im Spannungsfeld zwischen Existentialismus und Christentum damals O'Neill zum vielgespielten Autor machte, wird heute aus neuen Quellen gestillt. So entdeckt Schroeter in O'Neills amerikanischer Atriden-Trilogie etwas ganz anderes als antikische Wucht: Witz und Sentimentalität. Wenn General Mammon, der Agamemnon bei O'Neill, seine erwachsene Tochter Lavinia, die Elektra aus dem puritanischen Reedergeschlecht, mit „Nun, marsch ins Bett“ abkommandiert, wird der tragische Fall zum komischen Plumpser. O'Neills Sprache ist platt, oberflächlich und bagatellisiert die Emotionen, die die Handlung aufbauen.

Schroeters Regie, die sich um Differenzierung wenig schert, beutet das aus. So wird unter der unechten Archaik des Handlungsmodells noch ein anderes Muster deutlich: das des Melodramas des 19. Jahrhunderts. O'Neills Figuren sind keine Charaktere, sondern Typen. Ihre Psychologie ist nicht individuell, sondern allgemein. Schroeter hat gleichfalls kein Interesse an psychologischem Realismus. So sehen wir dann hektisch zappelnde Marionetten und manische Sprechmaschinen.

Schroeter vergröbert und veräußerlicht. Lavinia liebt Adam Brant, den Liebhaber ihrer Mutter, will sich und erst recht ihm das nicht eingestehen. Erst ganz am Ende des Dramas bekennt sie sich zu dieser Liebe. In Schroeters Inszenierung küssen sie sich gleich in ihrer ersten Szene. Nur selten findet Schroeter wirklich erhellende körperliche Formeln für die vertrackten Gefühle seiner Figuren. Lavinia zum Beispiel umarmt ihre Mutter innig, wenn sie sie anschreit: „Ich hasse dich!“ Sonst wird, was im Text versteckt ist, szenisch ausposaunt. Nie bleibt ein Gefühl so rätselhaft wie jener Gegenstand, der im ersten Stock des Mammon-Hauses neben einer abgestützten Stahltreppe liegt (Bühne: Alberte Barsacq): ein gräuliches Paket wie eine verpackte Leiche, knorrig geschwollen wie die Gliedmaßen eines Riesen – der einbalsamierte Stifter des Familienfluches?

O'Neill will seine Figuren in maskenhafter Starre sehen, steife Puritaner mit brodelnden Gefühlsströmen hinter dem Staudamm der gesellschaftlichen Konventionen. Schroeters Figuren sind redselige Hysteriker, die jedes Gefühl in Ekstase ausagieren.

Ein Melodrama ist Schroeters Inszenierung auch im anderen Wortsinn: Es ist Sprechtheater mit Musikbegleitung. Ein Pianist und Geiger (Zdzislaw Ryczko) untermalt alle emotional hervorgehobenen Szenen. So taumelt Ezra Mammon, von einer Herzattacke getroffen, begleitet von einer düsteren Baßlinie des Klaviers, in Zeitlupe zu Boden. Und Lavinia rollt dann die Leiche des Vaters zu einem Violin-Adagio herein. Was der schauspielerischen Darstellung an emotionaler Wirkung fehlt, soll die Musik bewirken. Wirklich zu sich kommt die Inszenierung, wo sie – abweichend vom Text – es sich gestattet, ganz Oper zu sein: Die Figur des alten Gärtners Seth und des Vorsängers wurden beide von Schroeter mit dem jungen, dunkelhäutigen Ernest Allan Hausmann besetzt. Und der darf nach der Pause die Schnulze „Lovely Lies“ so schön singen, daß selbst der hartgesottene Captain Brant seinen Kopf in dessen Schoß legt und vielleicht an ganz andere Auswege aus seinen erotischen Verstrickungen denkt als an eine Flucht nach China.

Und ganz zum Schluß, wenn Lavinia, die letzte des verfluchten Geschlechtes, beschließt, sich hinter den Mauern des Unglückshauses selbst einzukerkern, zieht der gutgebaute Gärtner einfach sein Hemd aus und zeigt ihr seinen schönen Oberkörper: Das wär's doch gewesen, Sinnlichkeit statt Triebunterdrückung, Natur statt Zivilisation, sagt uns Schroeter noch einmal.

Markus Boysen, wie Eugene O'Neill Sohn eines berühmten Schauspielers, spielt sich als schuldbewußten Muttermörder Orin in den Mittelpunkt der Aufführung. In einer an den Autor erinnernden Maske jodelt er glaubhaft leidend in den Zuschauerraum: „Ich bin nicht mehr Mutters, ich bin Vaters Sooooohn!“ Und wenn Elisabeth Krejcir als Christine auf Eva Schuckart als Lavinia trifft, kann man das ein Gipfeltreffen der Megären nennen. Ihnen fehlt die Sympathie des Regisseurs. Er läßt Christine trippeln wie eine Henne vor dem Eierlegen und immer wieder routiniert ohnmächtig zusammensinken. Je später der Abend wird, desto freier spielt sich aber Eva Schuckart mit abrupten Wechseln der Tonlage an die Art von Wahnwitz heran, die Schroeters Inszenierung vielleicht noch retten könnte. Zum Schluß aber muß sie wieder wie ein sterbendes Huhn hilflos mit den Armen flattern.

„Je näher die Oper ihrer eigenen Parodie ist, um so näher ist sie sogleich ihrem eigensten Element“, meinte einst Adorno. Schroeter meint, dies gelte auch für das Schauspiel. Er meint, das wahre Schauspiel sei Opernparodie. Doch nach vier Stunden Oper ohne Gesang kommt man zu einem anderen Schluß: Melodramen machen müde. Gerhard Preußer

Eugene O'Neill: „Trauer muß Elektra tragen“. Regie: Werner Schroeter. Bühne und Kostüme: Alberte Barsacq. Mit: Elisabeth Krejcir, Ernst Alisch, Eva Schuckart, Markus Boysen. Düsseldorfer Schauspielhaus (Großes Haus). Weitere Vorstellungen: 30. September, 2., 3., 6., 7., 12., 15., 22., 30. und 31. Oktober

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