: Bauernland in Bauernhand
Wer in El Salvador während des Krieges Land besetzte, soll es im Frieden behalten können / Aber die Übertragung faktischer Nutzungsverhältnisse auf Papier stößt auf vielerlei Schwierigkeiten ■ Aus Santa Clara Ralf Leonhard
Der Raum riecht nach frischer Farbe. Der neue Schreibtisch und die beiden Archivkästen, jüngst erworben mit Geldern eines österreichischen Hilfswerkes, sind leer. Noch wartet das „Büro für Landfragen“ in der salvadorianischen Ortschaft Santa Clara auf die ersten Auskunftsuchenden.
Bürovorsteher Vicente Alvarado – von seinen Freunden Chentio genannt – wüßte auch noch gar nicht, was er den Leuten sagen sollte. Der ehemalige Guerillero, mit dem breitkrempigen Hut und dem sanften Akzent unverkennbar als Campesino zu identifizieren, soll Auskunft geben über den Stand der Verhandlungen zwischen Regierung, FMLN und verkaufswilligen Landeigentümern. Bisher haben sich Landübertragungen aber kaum realisiert.
Das Büro von San Vincente wurde eingerichtet, damit die Campesinos nicht bis in die zwei Autostunden entfernte Hauptstadt San Salvador reisen müssen. Der Flecken liegt im gleichnamigen Department, das als ehemalige Kriegszone anerkannt ist. Einst konnte man hier bereits wenige Kilometer abseits der Panamerikanischen Landstraße Guerilleros antreffen. Deren Verwandte ließen sich während des Krieges auf verlassenen Grundstücken nieder. Etwa 400 Familien sind in dieser Region als tenedores, als Besetzer mit Anspruch auf Landerwerb, registriert, weiß Chentio. Er selbst hat drei Hektar in der entlegenen Gemeinde Amatitan mit Mais bebaut.
Die Friedensverträge, die im Januar 1992 im mexikanischen Schloß Chapultepec unterzeichnet wurden, schützen alle Besetzer in den Kriegszonen. Die Regierung mußte sich verpflichten, mit den ursprünglichen Eigentümern zu verhandeln und den Kaufpreis vorzustrecken. Zum Verkauf kann keiner gezwungen werden. Doch die meisten sind längst weggezogen und haben eine neue Lebensgrundlage gefunden. Wenn einer in dieser eher kargen Gegend sich weigert, dann aus prinzipiellen politischen Gründen.
Silvia Hernandez, die jetzt im Gemeindeamt von Santa Clara auftaucht, kommt aus der Stadt. Das erkennt man schon an ihren Nylonstrümpfen, den Stöckelschuhen und dem diskreten Make-up. Sie will verkaufen, muß aber unverrichteter Dinge wieder abziehen. Denn die Landbesetzer wurden von der FMLN angewiesen, lieber keine Geschäfte auf eigene Faust zu machen. Sonst verlieren sie den Anspruch auf die günstigen Bedingungen, die ihnen nach den Friedensverträgen zustehen: eine Rückzahlungsfrist von dreißig Jahren bei sechs Prozent Verzinsung und vier rückzahlungsfreien Jahren.
„Außer in besonders komplexen Fällen wird die Regierung den Landbesitz in den Konfliktzonen innerhalb von sechs Monaten nach dem Waffenstillstandsvertrag legalisieren“, heißt es im Friedensvertrag. „Je nach Fall wird sie individuelle oder kollektive Titel verteilen.“ Aber die Verhandlungen darüber gehen schleppend voran, nicht zuletzt, weil strittig ist, wer alles Anspruch auf Landerwerb hat. Für die Regierung gilt der 13. März 1992 als Stichtag; viele Familien haben aber erst zu einem späteren Zeitpunkt besetzt, als sie die Bedeutung der Friedensverträge verstanden. Nur jene, deren Ansprüche schon zweifelsfrei festgestellt wurden, haben auch Anspruch auf Kredite im Rahmen des Nationalen Wiederaufbauprogramms, das vom Planungsministerium verwaltet und aus internationalen Spenden gespeist wird.
Im nördlichen San Vicente trifft das erst auf sechs Grundstücke zu. Die anderen Kleinbauern, die sich mehrheitlich zu Genossenschaften zusammengeschlossen haben, müssen andere Kreditgeber suchen – zum Beispiel die „Salvadorianische Vereinigung für Integrale Entwicklung“ (ASDI), die gleich am Hauptplatz ihr Büro aufgeschlagen hat.
Die ASDI ist eine Gründung der „Zentralamerikanischen Revolutionären Arbeiterpartei“ (PRTC), der kleinsten der fünf Organisationen der FMLN-Guerillafront. Sie kanalisiert Gelder ausländischer Hilfsorganisationen in Entwicklungsprojekte. Für die ehemaligen Guerillakämpfer und ihre Familien in fünfzehn Dorfgemeinschaften, die keinen Anspruch auf Kredite aus dem Wiederaufbauprogramm haben, hat sie einen Darlehensfonds eingerichtet. Rund 76.000 Dollar, erklärt Orlando Fagoaga vom ASDI-Koordinationsteam, stehen für Grundnahrungsmittelanbau zur Verfügung, weitere 3.000 für Bohnen.
In wöchentlichen Besuchen in den Gemeinden können er und seine Leute sich selbst ein Bild von den Bedürfnissen machen. Der Vorstand der jeweiligen Genossenschaft oder Dorfgemeinschaft bekommt dann einen Scheck und kann damit Saatgut, Werkzeug oder Düngemittel einkaufen. Obwohl mit Witterungsschäden und Ungeziefer gerechnet werden muß, erhofft sich Fagoaga 90 Prozent Rückzahlungen. Der Zinssatz variiert zwischen 8 und 16 Prozent, je nachdem ob der Kredit im November, im Januar oder erst im April zurückgezahlt wird. Die Banken verlangen dagegen 20 bis 24 Prozent; nur die ehemaligen FMLN-Kämpfer konnten sich dort eine Reduzierung auf 14 Prozent aushandeln.
Um bei ASDI kreditwürdig zu sein, darf man bei der Organisation keine Schulden haben, muß Landwirt und Mitglied einer Dorfgemeinschaft sein. Parteizugehörigkeit ist kein Kriterium. Schon wegen der ausländischen Geldgeber.
Die ungerechte Verteilung des fruchtbaren Landes im überbevölkerten Zwergstaat El Salvador hatte schon 1932 den Bauernaufstand des Farabundo Marti provoziert, von dem die FMLN ihren Namen hat. Die heutige Oligarchie hat ihr Vermögen mit Kaffee, Baumwolle und Zucker gemacht. Bei den jetzt herrschenden Rohstoffpreisen sind in der Landwirtschaft nicht mehr die großen Gewinne zu machen. Aber die Großgrundbesitzer haben längst vorgesorgt und ihr Kapital in Privatbanken, Importgeschäfte oder Industrieproduktion gesteckt. Daß sich die Oligarchie mit allen Mitteln der während der christdemokratischen Militärjunta 1980 von den USA verordneten Agrarreform widersetzte, hatte eher prinzipielle Gründe. Obwohl bezahlte Killer 1981 den Chef der Agrarreformbehörde und zwei Berater aus den USA im Sheraton-Hotel niedermachten, wurden nach und nach die Latifundien von mehr als 245 Hektar enteignet.
Aber an den Mittelbesitz, wo der eigentliche Reichtum konzentriert ist, wagten sich die Christdemokraten nicht heran. Die Phase zwei der Agrarreform, die die Güter zwischen 100 und 245 Hektar betreffen sollte, wurde nie umgesetzt. Auch im Friedensvertrag von Chapultepec konnte das Thema nicht aufgegriffen werden.
Von Santa Clara vierzig Minuten nach Norden über einen Holterdipolterpfad kommt man nach Amatitan Abajo. Ein paar verstreute Steinhäuser, sonst nur provisorische Hütten, Stöße von Dachziegeln, Holzpfosten, Lehmziegeln. Der Ort ist erst im Entstehen. Während des Krieges hatte hier niemand gewohnt. Jetzt wird der Flecken für über 100 Familien ehemaliger Guerilleros eine neue Heimat. Auch hier ist die Eigentumsfrage noch nicht geklärt.
„Wenn wir die Sache verschlafen, werden wir das ein Leben lang bereuen“, mahnt Chentio Alvarado vom „Büro für Landfragen“. Die Frauen und die unter Sechzehnjährigen wurden zum Teil nicht als Besetzer mit Erwerbsansprüchen registriert. Denn die Verifizierung der Besitzverhältnisse begann im August 1992 – erst zwei Monate später wurde durchgesetzt, daß auch weibliche und minderjährige Kämpfer anspruchsberechtigt sind.
Dazu kommt, daß viele nach den ersten Monaten umgezogen sind. Zuerst ließen sie sich im Verband der demobilisierten Truppen nieder. Als sich zeigte, daß es mit dem Frieden ernst wird, suchten nicht wenige ihre Heimatgemeinde auf, andere nahmen die zurückgelassene Parzelle in Besitz. Einige verzichteten auch, als sie erfuhren, daß sie letzten Endes für das Land bezahlen müßten.
Nidia Diaz, die ehemalige Guerillakommandantin, die sich jetzt im Wahlkreis San Vicente um ein Abgeordnetenmandat bewirbt, ist zu Besuch gekommen. Sie will den Leuten von Amatitan Abajo erklären, wo und wie sie sich für die Wahlen im nächsten April einschreiben müssen. Die Mobilisierung für die Wahlen sei von zentraler Wichtigkeit, erklärt Nidia Diaz, denn Armando Calderón Sol – der rechtsextreme Bürgermeister von San Salvador, der die Nachfolge von Alfredo Cristiani als Staatspräsident antreten will – habe seinen Freunden versichert, er fühle sich an die Friedensverträge seines Vorgängers nicht gebunden. Wenn die Rechte neuerlich gewinnt, warnt Nidia Diaz, müsse mit dem Schlimmsten gerechnet werden.
Zwar hat von den Anwesenden, die mit ernsten Gesichtern auf Ziegeln und Baumstümpfen im Halbkreis Platz genommen haben, kaum einer seinen Wahlausweis. Die meisten drücken aber ganz andere Probleme: Wann werden die Landübertragungen legalisiert? Was muß ich tun, um als Besetzer anerkannt zu werden? Was sage ich dem Eigentümer, der mir ein Angebot macht? Was passiert mit jenen, die Land bebauen, dessen Eigentümer es nicht verkaufen will?
Da ist zum Beispiel der 40jährige Saturnino Rodriguez, jahrelang in den Milizen als Teilzeit- Guerillero aktiv. Gleich nach dem Waffenstillstand hat er gemeinsam mit anderen ein Stück Land besetzt: gutes Ackerland, 40 Hektar groß, auf dem bereits Mais, Bohnen, Sesam und Reis gedeihen. „Der Eigentümer heißt Jesús Castro und wohnt in Sonsonate.“ Das ist fast 300 Kilometer entfernt. Doch Herr Castro will sich von seinem Gut nicht trennen. „Das Problem ist nicht gelöst“, gibt Nidia Diaz zu, „das wird ganz zum Schluß diskutiert, wenn alles andere geregelt ist.“ Die Friedensabkommen sehen vor, daß die Regierung in einem solchen Fall möglichst in derselben Gegend Ersatzland suchen muß. Bis diese Lösung gefunden ist, dürfen die Besetzer zumindest nicht vertrieben werden.
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