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Drogen-Bazar im Goldenen Halbmond

Pakistan: Politiker mit Verbindungen zur Drogenmafia dürfen nicht für die Wahlen am 6. Oktober kandidieren / CIA-Bericht sieht „Kolumbisierung“ des Landes  ■ Aus Islamabad Bernard Imhasly

Wer über den Khyber-Paß an der afghanisch-pakistanischen Grenze reist, kommt, kurz bevor er in Landi Kotal den Scheitelpunkt erreicht, an einer Festung vorbei, die selbst für dieses mit Fortifikationen gespickte Einfallstor in den Subkontinent aus der Rolle fällt. In einem quadratischen Viereck sind hier zwölf Meter hohe Mauern hochgezogen, mit einer Seitenlänge von mehreren hundert Metern. Der Blick durch eines der Tore fällt auf eine Oase von Wasserspielen, tiefgrünem Rasen und Blumenbeeten, in deren Mitte ein Helikopter-Landeplatz, und entlang der Innenmauern Lauben, Lagerhallen und Behausungen.

Doch der Hausherr ist nicht da: Ayub Khan Afridi hat sich, per Helikopter, in die Tirah, die zerklüftete Bergwüste zwischen Pakistan und Afghanistan zurückgezogen, weil er auf der Liste jener sechzehn Männer steht, die an die USA ausgeliefert werden sollen. Denn Afridi gilt als einer der größten Drogenhändler und Heroinproduzenten Pakistans.

Bis vor kurzem war Afridi ehrenwertes Mitglied des nationalen Parlaments, und er ging in Islamabads Ministerien und Nobelhäusern ein und aus. Zwar machte sich niemand Illusionen über die saubere Fassade von Afridis Aktivitäten – die offizielle Geschäftstätigkeit lautet auf „Handel mit Geschirr“ –, aber mit einem vermuteten Einkommen in dreistelliger Millionenhöhe wußte er unbequeme Frager jeweils rasch zum Schweigen zu bringen.

Auch für die Wahlen vom 6. Oktober hatte er seine Kandidatur angekündigt, und die Wiederwahl war praktisch schon geregelt – in den Stammesbezirken von Pakistans wilder North West Frontier Province herrscht nur ein beschränktes Wahlrecht, und die Stammesloyalität der Afridis in der Khyber Agency ist um so stärker, als sich Ayub Khan diese auch etwas kosten läßt. Doch diesmal regiert in Islamabad nicht eine der großen nationalen Parteien, die sich so leicht beeinflussen lassen. Es ist eine unpolitische Interimsregierung, deren einziges Mandat lautet, saubere Wahlen durchzuführen. Als die USA just im Augenblick der Kandidatenaufstellung für die Parlamentswahl neue Auslieferungsgesuche stellten, reagierte Übergangspremier Moreen Qureshi prompt: Er strich die Verdächtigen von den Listen.

Sein Entschluß wurde durch einen amerikanischen Geheimbericht über das Drogenunwesen in Pakistan erleichtert, der im gleichen Zeitraum der Presse zugespielt wurde. Es handelt sich um eine Studie, die 1992 im Auftrag der CIA entstanden ist. Unter dem Titel „Heroin in Pakistan: Den Wind säen“ zeichnet diese ein detailliertes Bild über den Umfang von Drogenproduktion und -handel im wichtigsten Land des „Goldenen Halbmonds“.

Der Bericht kommt zum Schluß, daß die Drogen in Pakistan zu einer Macht angewachsen sind, welche Wirtschaft und Politik des Landes immer mehr beherrschen. Pakistan gehört heute weltweit zu den wichtigsten Opiumproduzenten und -verarbeitern. 1991 wurden in den „Tribal Areas“ zur Grenze nach Afghanistan 92.200 Tonnen Opium angebaut. Damit hatte sich die Menge in sieben Jahren vervierfacht.

Ein großer Teil der Produkion Afghanistans, das heute vielleicht schon der weltweit größte Opiumerzeuger ist, wird durch pakistanische Heroinkartelle verarbeitet und umgesetzt. Der Bericht zitiert UNO-Quellen, wonach 1992 der afghanische Ausstoß 2.000 Tonnen betrug; private Schätzungen beziffern ihn gar auf 3.000 Tonnen. Der Beitrag dieses dynamischen Wirtschaftssektors zur Untergrundökonomie: 32,5 Milliarden Dollar. Das entspricht etwa zwei Dritteln des offiziell registrierten Bruttosozialprodukts.

Laut der CIA-Studie sind diese Gelder in staatliche Institutionen geflossen, von der lokalen Polizeistation bis hinauf in die höchsten Regierungsebenen. Drogen-Lords sind Mitglieder der Provinz- und Landesparlamente, sie haben die wichtigsten Bekämpfungsinstitutionen entweder gelähmt oder infiltriert. An der Küste von Baluchistan östlich von Karatschi, dem Hauptumschlagplatz, werden Landeboote mit modernen Roll-On/ Roll-Off-Systemen eingesetzt – die Küstenwache schaut zu: Ihre Erfolgsstatistik bei der Aushebung von Drogentransporten im Jahre 1992 lautet: Opium: 3,4 Kilogramm, Heroin: 0 Kilogramm.

Parteiunterschiede sind für die Mafia kein Hindernis. Bekannte Großhändler werden sowohl mit der Muslim Liga wie mit der Volkspartei der Ex-Premierminister Nawaz Sharif und Benazir Bhutto in Verbindung gebracht. Afghanische Mudschaheddin- Führer sollen häufige Gäste in Ayub Khan Afridis befestigter Oase gewesen sein, allen voran Gulbuddin Hekmatyar. Die Liberalisierungspolitik der letzten beiden Jahre hat die legale Anlage von Narkodollars in zahlreichen Unternehmen des Landes erleichtert, und Kartelle können heute selbst die Zahlungsbilanz des Landes beeinflussen. Die Drogenbekämpfung ist denn auch wenig erfolgreich: Von den rund 70 Tonnen Heroin, welche jährlich durch Pakistan fließen, werden gerade fünf sichergestellt.

Der westliche Besucher, wenn er bei der Vorbeifahrt an einem Opiumacker seiner Beklemmung Ausdruck gibt, erhält nicht selten die Frage gestellt, ob er im Westen ähnliche Gefühle habe, wenn er an einer Waffenfabrik vorbeifahre; Drogen seien schließlich nichts anderes als die Waffen der Armen gegen die Reichen dieser Welt. Und auch gegen die feindlicheren Nachbarn: Ein großer Teil des Afghanistan-Kriegs wurde mit Drogengeldern finanziert, und die Sikh-Autonomisten der indischen Punjab-Region haben sich pakistanischen Schutz damit erkauft, indem sie sich als Drogenkuriere anheuern ließen. Es gibt Ulema, religiöse Rechtsgelehrte, welche die Opiumproduktion gar durch Fatwahs schützen – solange diese nicht auf die Muslime selber abziele. Dies ist allerdings immer weniger der Fall: Laut dem CIA-Bericht hat der Drogenkonsum in Pakistan exponentiell zugenommen: von Null im Jahre 1979 auf 1,2 Millionen Heroinabhängige; private Schätzungen sprechen von zwei Millionen. 1979 war das Jahr, in welchem drei Ereignisse die Weichen für die fatale Entwicklung stellten: Die drakonische Drogenpolitik des Iran nach der Revolution durch Khomeini führte zum Exodus von Drogenhändlern nach Karatschi und zur Verschiebung der Produktion nach Afghanistan. Im gleichen Jahr erließ die pakistanische Regierung ein Verbot der Herstellung und Handel von Opium – und spielte diese damit in die Hände der kriegerischen Bergstämme der Yusufzai, Afridi und Khattak in den Grenzregionen zu Afghanistan. Und schließlich führt der Beginn des Afghanistan-Krieges zum Zusammenbruch der traditionellen Lieferwege.

Heute scheinen die Karten neu verteilt zu werden: ein weitgehend tribalisiertes Afghanistan und die zentralasiatischen Republiken könnten zu wichtigen Produktionsstandorten werden und die alten Handelsrouten durch ihre Länder wieder aktivieren.

Für den Erfolg einer schärferen Bekämpfung der Drogen-Clans wird das Verhalten der Armee entscheidend sein. In Pakistan gehen die Meinungen weit auseinander, ob sich auch die Streitkräfte haben korrumpieren lassen. Keine Zweifel werden darüber geäußert, daß der militärische Geheimdienst ISI seine Kampagnen in Afghanistan, im indischen Punjab und in Kaschmir mit Drogengeldern finanziert hat. Aber es scheint, daß das Gros des Offizierkorps von den Verlockungen der Drogen-Mafias bisher verschont blieb.

Ayub Khan Afridi ist allerdings zuversichtlich, daß er in seinen Palast in Islamabad wird zurückkehren können, sobald die „Eintagsfliege Quereshi“ – der Interimspremier – nach den Oktober-Wahlen wieder normalen Politikern Platz gemacht haben wird. Er hat jedenfalls, zusammen mit anderen Drogen-Khans, seinen Ausschluß von der Kandidatenliste gerichtlich anfechten lassen. Falls es zu einem Parlament mit einer knappen Mehrheit kommt, wird sich eine Nachwahl arrangieren lassen. Denn, so schließt der CIA-Bericht mit einem zweideutigen Wink an die US-Regierung: Demokratie und Drogen vertragen sich gut. „Die Rückkehr von demokratisch gewählten Regierungen hat den Opium-Produzenten und Heroin- Händlern ein nachhaltiges Comeback ermöglicht, weil sie nun wieder Parteiloyalitäten manipulieren und Politiker schmieren können.“ Da klingt fast ein bißchen Nostalgie für die Militärdiktatur mit.

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