■ Das bosnische Parlament hat den Teilungsplan faktisch abgelehnt. In den Augen vieler ist die Forderung nach Rückgabe der besetzten muslimi-schen Gebiete gerechtfertigt: Die frühere Sanftheit ist gewichen
Die frühere Sanftheit ist gewichen
Lange Gesichter gab es bei denen, die eine bedingungslose Kapitulation des bosnisch-herzegowinsichen Parlamentes in Sarajavo erwartet hatten. Mit 58 von 90 Stimmen – das sind die Abgeordneten, die vom alten Vorkriegsparlament, wo einstmals 240 Abgeordnete saßen, übriggeblieben sind – wurde der Vorschlag des Muslimischen Rates vom Dienstag bekräftigt: Wenn schon eine Aufteilung des Landes nach dem Diktatfrieden von Genf hingenommen werden muß, dann sollen wenigstens die Gebiete an das restbosnische Gebiet angegliedert werden, in denen vormals muslimische Bevölkerungsmehrheiten existierten – die aber vor allem von serbischer Seite erobert und die Bewohner entweder ermordet oder vertrieben wurden. Dagegen hat sich die bosnische Regierung in den vorangegangenen Tagen immer wieder dafür ausgesprochen, den Plan in Genf zu unterschreiben.
Die Lage scheint verfahren. Was bedeutet diese Entscheidung des Parlamentes? Ist sie eine Ablehnung des Dreiteilungsplanes oder eine Zustimmung? Sie ist vor allem der Ausdruck einer ungeheuren Frustation. Alleingelassen von der Welt, den Aggressoren ausgesetzt, die Städte und Dörfer zerbomt, und dennoch standgehalten.
Die bedingungslose Kapitulation? Nein danke!
Vor allem bei den Muslimen der Region hat psychologisch ein Umdenken stattgefunden. Die bedingungslose Kapitulation? Nein danke. In den Augen der meisten Menschen ist die Forderung nach Rückgabe der muslimischen Gebiete gerechtfertigt. Wie schon Ende August, als das Parlament zum ersten Mal zusammengetreten war, fiel es den Abgeordneten jetzt in Sarajevo nicht leicht, überhaupt zu akzeptieren, daß Bosnien-Herzegowina auseinanderfallen soll.
Für viele Muslime, die ja traditionell multikulturell und nicht nationalistisch denken – was sich erst in letzter Zeit ändert –, ist der Gedanke, daß alle Kriegsverbrechen durch die Nationalisten, durch die Faschisten, wie sie sagen, mit dem Plan sanktioniert würden, einfach unerträglich geblieben. Aber auch die kroatischen Mittelschichten der Städte Zentral- und Ostbosniens tun sich schwer mit der Akzeptanz. Denn, käme dieser Ministaat zustande, dann könnten sich wohl die Kroaten in Restbosnien nicht mehr halten. „Das wäre eine Tragödie“, hatte schon vor zwei Monaten der Erzbischof von Sarajevo, Vinco Puljic, in einem Interview mit der taz gesagt. „Die 1.500jährige Geschichte des Kroatentums in Zentralbosnien wäre dann wahrscheinlich zu Ende.“ Es ist abzusehen, daß die vertriebenen Muslime aus den okkupierten Gebieten den Druck gegenüber den Kroaten steigern würden, sie veranlassen würden, das Land zu verlassen.
Für die muslimische Führungsschicht ist nun tatsächlich eine Wegscheide erreicht. Die alte Sanftheit ist selbst in den Mittelschichten – je gebildeter, um so multikultureller – einer kämpferischen Einstellung gewichen. Die Landbevölkerung, die jetzt entwurzelt in den Städten lebt – Zehntausende von Vertriebenen aus Südostbosnien sind zum Beispiel in Sarajevo –, drängt nach Rückkehr. Die vertriebenen Männer gehören zu den aktivsten und unerschrockensten Kämpfern. Trotz des Waffenembargos ist es der bosnischen Armee gelungen, seit April militärische Erfolge zu erzielen. In Zentralbosnien wurden mit Travnik, Bugojno, Konjic und Fojnica wichtige Städte unter bosnische Kontrolle gebracht. Der von dem kroatischen Verteidigungsrat gehaltene Streifen zwischen Novi Travnik, Vitez und Kiseljak ist durch die bosnische Armee durchschnitten. So ist es für viele nicht einsichtig, gerade jetzt nachzugeben.
Verbindliches Votum für Bosniens Regierung?
Doch für die Regierung können alle diese Beweggründe nicht mehr zählen. In dem langen und harten Verhandlungsprozeß ist die Grenze erreicht. Ein neuerlicher Aufschub könnte zudem die Bereitschaft der Nato und der USA, Truppen auf einer Stufe unterhalb der Intervention nach Bosnien zu schicken, gefährden.
Bosniens Präsident Alija Izetbegović und seine Leute wissen nur zu genau, daß die Warnung des serbischen Oberbefehlshabers in Bosnien, Mladic – der ja schon den Nato-Truppeneinsatz ablehnt –, bei einer weiteren Verzögerung für die Unterschrift unter den Genfer Friedensplan würde die muslimische Bevölkerung ausgerottet, nicht leichtfertig abgetan werden kann. Und auch die Kroaten haben neue Truppen nach Zentralbosnien geführt. „Der Winter, der Krieg, unser Überleben“, so Izetbegović, „zwingen uns zur Unterschrift.“ So wird die Regierung Izetbegović sich überlegen müssen, inwieweit das Votum des Parlaments in Sarajevo von ihr als verbindlich angesehen werden kann.
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