: Menschen wie du bzw. ich: Im Speisewagen Von Claudia Kohlhase
Ist es nicht eines der schönsten Lebensgefühle, Hühnersuppe zu essen, während man durch Remscheid flitzt? Links und rechts fliegen Fabriken, Schornsteine und Baumärkte vorbei, und nirgends muß man wirklich bleiben oder dahintergucken. Sogar auf den Bahnhöfen kann man weiteressen, obwohl rasende Manager einem ihren Ellbogen in die Kartoffelsuppe stippen.
Ja, es ist herrlich im Speisewagen, dem einzigen Reise-Zoo, in dem fahrbare Menschen gefüttert werden. Und in dem sich die seltensten Gattungen freiwillig ausstellen, damit sie nicht aussterben. Oder hat jemand ernsthaft schon mal Majore aus dem Bundesverteidigungsministerium gesehen? Oder Horoskop-Designerinnen? Unternehmensleiter? Finanzbeamte? Frührentner? Stimmungskanonen? Lebhafte Pathologen? Reizende Mörder? Hach, einfach alles ist so unterwegs wie ich und du in der Grauzone zwischen Niemandsland und Streifenpolstern und ohne Haltestellen im wirklichen Leben. Und als wäre man von allen guten Geistern begleitet, huscht das Personal nur so hin und her und liest dir vor allem in den Kurven die Wünsche von den Augen ab.
In Dortmund ist Personalwechsel. Das dauert jetzt etwas, bis alles kommt. Das macht nichts. Ist nicht auch im Prinzip egal, was man ißt, solange man so fort- und fortgezogen wird wie am Schnürchen? Ist nicht das Ruckeln durch Zeit und Raum genug der Annehmlichkeit? Draußen ist langsam Wuppertal- Vohwinkel, zierlich schwebt in naher Ferne die Schwebebahn durch die Gegend und macht uns milde und vergnügt hermetisch gegen alle Unbill: Denn sitzen wir nicht alle in einem Boot und könnten ein bißchen plätschern? Wer fängt an?
Mein finanzbeamteter Nachbar. Hat ja auch schon ein Bier und spricht also aufgeräumt über den Lohnsteuerjahresausgleich. Der dynamische Jungmanager holt daraufhin zufällig seinen Lohnsteuerjahresausgleich aus der Tasche, aber die drei rheinischen Kegeldamen waren schneller und werden schon bei der Getränkeauswahl finanziell beraten.
Der Jungunternehmer ist daraufhin beleidigt und muß sich an die Hobbymalerin halten, die ihre Hobbymalerei ans Licht holt, damit alle mal wie von ungefähr einen Blick auf die Stilrichtung werfen können. In den Major gerät auf einmal Leben, und er gibt zu Protokoll, das Hobbymalen aus eigener Anschauung zu kennen. Die rheinischen Kegeldamen fragen daraufhin übermütig, ob die Polster auf seinen Schultern von irgendeiner Bedeutung sind, woraufhin der Major wieder in Abwehrhaltung geht. Von der Türe her hört man den Pathologen und den Frührentner über das Antlitz des Todes debattieren. Da geht die Türe auf, und herein kommt ein prominenter Mörder, der aber so reizend ist, daß niemand ihm nach so langer Zeit noch einen Mord vorwerfen oder nachtragen würde. Die Horoskop-Designerin errechnet sein Zeugungs-Horoskop, wonach alles auch kein Wunder war, sondern berechenbar.
Hinter Köln sind wir längst eine kleine, aber feine Solidargemeinschaft, vereinzelt wird bereits gelacht. Da will auch der Schaffner nicht zurückstehen und sieht großzügig über die Mehrfachbelegung eines Gepäckfachs hinweg. Auf einmal kommen die Speisen. Will hier jemand essen?
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