Eisbrecher in der Adria

■ Radio-Boat: Programme für das "Flüchtlingswerk"

Irgendwo in den internationalen Gewässern der Adria liegt das Radio-Schiff der „Association Droit de Parole“ aus Frankreich vor Anker und sendet seit zehn Monaten sein Programm ins Gebiet von Ex-Jugoslawien. Seine Aufgaben: objektive, unparteiliche und wahre Informationen über den Krieg ins ganze Gebiet von Ex-Jugoslawien senden und ein Spezialprogramm für Flüchtlinge produzieren. Das Projekt wird von der EG und mehreren Hilfsorganisationen unterstützt.

Das Schiff ist ein 66 Meter langer Eisbrecher, der früher in der Antarktis eingesetzt wurde. Die 50 Meter hohe Antenne verleiht ihm eine seltsame Form. Der Kapitän und die Offiziere sind Franzosen, die Matrosen kommen aus Indien. Ohne Ziel auf See zu sein ist etwas frustrierend für sie, doch andererseits fordert sie die Situation, eine Radiostation an Bord zu haben. Siebzehn JournalistInnen und Techniker aus Sarajevo, Zagreb, Belgrad, Split und Podgorica stellen ein Programm für 24 Stunden zusammen. Die Hauptnachrichten werden um 21.30 Uhr ausgestrahlt. Sie enthalten Meldungen aus allen sechs Republiken des ehemaligen Jugoslawien. Es ist nicht einfach, mitten in der Adria und isoliert auf einem Schiff ein Programm zu machen, wenn nur drei Telefone und Agenturmeldungen zur Verfügung stehen. Aber das gut ausgebaute Netzwerk von KorrespondentInnen in ganz Jugoslawien, Europa und den USA macht das Programm sehr aktuell. Es handelt sich dabei nicht um Jugoslawien-Nostalgie, wie die staatlichen Medien Serbiens und Kroatiens verbreiten, sondern schlicht um die Wahrnehmung des Rechts auf Information von Menschen in allen Republiken auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawien, die immer noch Verbindungen zu Menschen in anderen Republiken haben und um deren Schicksal besorgt sind, wie JournalistInnen auf dem Schiff erklären.

Radio-Boat ist das einzige Radio, das ein spezielles Programm für Flüchtlinge anbietet. Die Information über Gesetze, Aufenthaltsbedingungen, Probleme mit der Eingliederung, Möglichkeiten der Rückkehr und persönliche Nachrichten sind den Menschen auf der Flucht eine große Hilfe. Kosta Jovanovic, früher Fernsehredakteur in Sarajevo, jetzt Verantwortlicher des Flüchtlingsprogramms von Radio-Boat, sagt: „Alle Flüchtlinge sind gleich und gehören derselben Nation an — dem Flüchtlingsvolk.“

JournalistInnen und RedakteurInnen von Radio-Boat haben dieselben Schwierigkeiten durchgemacht wie diejenigen, für die sie das Programm machen: das Zuhause verloren, von der Familie getrennt, keine Gelegenheit der Rückkehr... Die Familie von Nino Simsic, dem technischen Produzenten, lebt immer noch in Sarajevo. Mirjana Didzarevic, Übersetzerin und Musikredakteurin, hat alles in Sarajevo zurückgelassen. Der gute Geist des Schiffs, Petar Savic, ein junger Tontechniker von Radio B92 (Belgrad), hat gerade einen Stellungsbefehl aus Serbien erhalten. Darko Rundek, Rockstar aus Kroatien, der jetzt in Paris lebt, ist Musikredakteur und Schöpfer der originellen Jingles des Programms. Cafés und Bars an der dalmatischen und montenegrinischen Küste spielen keine CDs oder Kassetten, sondern schalten auf die Frequenz von Radio-Boat. Der internationale Hit von Radio- Boat ist Harry Belafontes „This is my island“.

Leben und arbeiten auf dem Radioschiff finden unter völlig ungewöhnlichen Umständen statt, sowohl in beruflicher wie in jeder anderen Hinsicht. Die wichtigste Regel lautet: Vergiß alle Regeln des Festlandes. Der Lebensrhythmus ist verrückt, es gibt keinen Unterschied zwischen Arbeits- und Freizeit und keine Distanz zwischen den Menschen. Den ganzen Tag in Shorts und T-Shirt, weit weg von Stoßzeiten, immer an der frischen Meeresluft und oft unter freiem Himmel zu sein, ist eine außergewöhnliche Erfahrung. Das Schönste ist das Schwimmvergnügen mit den Delphinen, die sich in der Nähe des Schiffs aufhalten.

Erscheint am Horizont ein Schiff oder ein Flugzeug, so stürzen alle Leute auf Deck, um seine Bahn zu verfolgen. In der Nähe halten sich Nato-Flugzeugträger auf. Eines Tages, als zwei Radio- Macherinnen auf Deck in der Sonne lagen, begann ein Nato-Helikopter über ihnen zu kreisen und wirbelte zum Spaß das Wasser auf. Der Pilot und die Journalistinnen grüßten sich. Wer will in solchen Augenblicken an Krieg denken? Und trotzdem müssen die Journalistinnen nachher die Nachrichten über die erneuten Massaker in Bosnien vorbereiten.

Radio-Boat bleibt noch bis zum Februar auf Sendung. Danach wird es auf dem Festland installiert. Zu viel Salz und eine zu hohe Luftfeuchtigkeit schaden den Geräten. Alles muß für den Winter vorbereitet werden. Kälte und Stürme sind üblich im Winter. „Radio-Boat is watching you...“ heißt das Haupt-Jingle im Programm. Jasna Bastic