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Pinsel aus Madonnenhaar

Musik besser, Texte besser, Kölsch besser: Der Lehrer und „Leedermächer“ Rolly Brings vertont Heinrich Böll, BAP nur Niedecken. Zwei Kölner Neuerscheinungen zwischen Kunst, Kitsch und Quatsch  ■ Von Bernd Imgrund

Was kann man von einer Platte erwarten, die schon vergoldet ist, bevor sie auf den Markt kommt? Im Normalfall wird sie da ansetzen, wo die letzte LP aufhörte, alle Erwartungen erfüllen, also langweilig sein. „Pik Sibbe“, die elfte LP von BAP, ist ein ganz normaler Fall.

Niedecken & Co sehen das alles ganz anders. Endlich mal wieder richtig „gejammt“ habe man, viele Songs seien während der Studiosessions erst entstanden. Entsprechend präsentiert sich die BAP- Familie auf der von Sebastian Krüger entworfenen Cover-Karikatur als unbeschwert-lausbübische Pokerrunde im Halfzware-Design. Was aber den Musikproduzenten, Großgastronomen und Camel- Werbeträgern mit Südstadt-Roots da musikalisch unterlaufen ist, wirkt weit weniger spielfreudig, klingt vielmehr nach der Abzockerei von Pop-Rentnern wie Waggershausen, Maffay oder Purple Schulz.

Wo könnte der BAP-Zug sonst auch hingehen? Die konjunkturstabile Kölsch-Rock-Welle hat man zwar 1979 mit „BAP rockt andere Kölsche Leeder“ selber losgeschlagen, aber mittlerweile ist der Markt proppenvoll. Neben den Nonsens-Virtuosen von L.S.E. (Lammers, Steffen, Engel) und den letzten Kraulversuchen des Asi-Rock Marke Zeltinger versperren die Emporkömmlinge von Brings den Weg zurück in den härteren Mainstream, und „Piano“- Chef Gerd Köster liefert kölsche Milieustudien, an die Niedecken mangels Humor nie heranreichte.

Bliebe der Rückgriff auf das, wofür BAP immer stand: political correctness, jene Attitüde, die Niedecken seit nunmehr fast 15 Jahren mit ebensogroßer Redlich- wie Redseligkeit von Album zu Album schleppt. Während er aber in der von ihm mitbegründeten „AG Arsch Huh“ dezidiert politische Basisarbeit leistet, hatte er bezüglich seiner BAP-Lyrik hochheilig geschworen, zukünftig „Texte dieser Art zu vermeiden“.

Nichts war's damit. Denn Niedecken liest weiterhin Zeitung, und sei es in der Hängematte auf den Philippinen, wo, wie das wie immer tagebuchartig kommentierte Booklet verrät, mehrere der Songs von „Pik Sibbe“ entstanden. Angesichts von Fotos aus dem jugoslawischen Krieg trieb es ihn aus dem Netz an den Schreibtisch, und da war er wieder, der messianische Impetus. „Wofür?“ entstand, ein Song, der in Joan-Baez-Manier den Wunsch nach jenem Lied artikuliert, dem alle zuhören, das alle verstehen und das allen Leiden ein Ende bereitet. Der heilige Zorn über die Vermarktung als kerzenschwingender Pausenclown nach dem Arsch-Huh-Konzert inspirierte ihn zu „Nöher zo mir“, wo aller „Overkill der Zweifel“ schließlich in den Armen eines Mädchens zerfließt.

Während diese Liedchen vor allem durch ihre lyrische und intellektuelle Einfalt bestechen, sorgte die Single-Auskopplung von „Widderlich“ schon im Vorfeld für Aufsehen. Hinter dem Song, der im Gefolge der Morde von Solingen und auf „ausdrücklichen Wunsch der Band“ hin entstand, witterte die Junge Union „Volksverhetzung“, gar einen „Angriff auf die Demokratie“. Über welche Flanke der geführt wird, bleibt allerdings das Geheimnis der CDU- Adepten. Niedecken ergeht sich in wüsten Beschimpfungen eines kollektiven „Ihr“, „asozial“ seien die Big Brothers, „ignorant“ und – reim dich, oder... – „penetrant“. Und dieweil er die „Betroffenheitsphrasen“ der Politikaster brandmarkt, trieft er wieder einmal selbst vor Betroffenheit.

Die Musik muß politischer werden, heißt es landauf, landab. Wie man das macht, ohne landunter zu gehen, zeigen „Rolly Brings un Bänd“, ein weiterer Baustein der Kölner Dialektmusik-Szene. Das Rezept, das sie von BAP abhebt, ist ganz einfach: Musik besser, Texte besser, Kölsch und Stimme besser.

Rolly Brings, eigentlich ein Vertreter der „Ein Mann-eine-Gitarre-ein Lied“-Fraktion, hat Gedichte von Heinrich Böll ins Kölsch übertragen und vertont. Die Band-Arrangements von „Mer kumme wick her“ entstanden zum Teil schon in jener Zeit, da Vater Brings noch mit seinen oben genannten, mittlerweile zum Metall-Rock konvertierten Söhnen Peter und Stephan durch Kölner Clubs und Jugendzentren tingelte. Die Balladen, Chansons und Folksongs sind fest verwurzelt im Böllschen Mikrokosmos: Es geht um Nonnen und die Kirche, um die kleinen Leute und den zivilen Ungehorsam – und natürlich immer wieder um Köln, den Dom und den Rhein. Aber anders als seine häufig plakativen Romane und Erzählungen ist die Lyrik Bölls eine echte (Neu-)Entdeckung. „Ess dat jetz Kunst oder ess dat Quatsch?“, fragt der Kölner, und wer erst mal kapiert hat, daß sich beides nicht ausschließt, der wird bei diesen Versen auch von Bölls heidnisch-katholischer Soutane gestreift werden: „über zerbrochenen Bischofsstäben/ kocht sie ihr Süppchen/ aus (...) zermahlenem Domherrengebein/ mit Pinsel/ aus Madonnenhaar/ malt sie Flüche/ an die Mauerreste/ tief tief/ unter dem Dom.“

Das Zitat aus „Köln II“ verbleibt im Hochdeutschen, denn Brings' archaische Fasson des Kölschen Idioms richtet sich eher an Ohren und Zwerchfell als an den Sitz der Generativen Transformationsgrammatik.

BAP: „Pik Sibbe“ (EMI/Electrola)

Rolly Brings un Bänd un Kulleje: „Mer kumme wick her“ (EMI/ Electrola, Chlodwig Musik).

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