: Eine Feier für die Fluchthelfer
Vor 50 Jahren wollte die Gestapo die 7.000 dänischen JüdInnen deportieren / Die meisten konnten fliehen / Für Hilfesuchende aus Deutschland war Dänemarks Grenze dicht ■ Aus Kopenhagen Niels Rohleder
In diesen Tagen wird sie wieder oft erzählt, die schöne Geschichte von den tapferen DänInnen, die in den ersten Oktobertagen 1943 weit mehr als 90 Prozent aller dänischen JüdInnen retteten. Die DänInnen feiern sich selber und werden von den Israelis gefeiert.
Heute vor 50 Jahren, in der Nacht zum 2. Oktober 1943, schlug die Gestapo zu. Unter der Leitung des Reichsbevollmächtigten Dr. Werner Best fand die große Razzia gegen die etwa 7.000 dänischen JüdInnen statt. Seit der deutschen Besetzung Dänemarks am 9. April 1940 hatte die Besatzungsmacht die kleine jüdische Gemeinde Dämenarks in Ruhe gelassen.
Seit Anfang der Besetzung hatte eine breite Koalitionsregierung unter sozialdemokratischer Führung in Kopenhagen auf reibungslose Kooperation mit den Deutschen gesetzt. Im Sommer 1941 akzeptierten die nichtkommunistischen Reichstagsparteien die Verhaftung der drei KP-Abgeordneten und die Internierung aller führenden dänischen KommunistInnen. Die dänischen PolitikerInnen blieben geschmeidig, bis sich das Kriegsglück Hitlers wandte. Am 29. August 1943 proklamierte der deutsche General Hermann von Hanneken den Ausnahmezustand. Die dänische Regierung trat zurück. Die Politik der Zusammenarbeit brach zusammen.
Die Administration Dänemarks lag bis zur Befreiung am 4. Mai 1945 in der Hand von nichtpolitischen Beamten der dänischen Ministerien. Die Entscheidungsgewalt befand sich bei den Deutschen in ihren Kopenhagener Hauptquartieren „Shellhuset“ und „Dagmarhus“. Mit der Demission der Regierung entfiel auch die Möglichkeit der dänischen Behörden, JüdInnen zu schützen.
Ein deutscher Diplomat, der damalige Schiffahrts-Attaché der deutschen Botschaft, Georg F. Duckwitz, sorgte durch seine Verbindung zum dänischen Spitzen- Sozialdemokraten und späteren Ministerpräsidenten Hans Hedtoft Hansen für Vorwarnung. Der als Held gefeierte Duckwitz wurde in den fünfziger Jahren BRD-Botschafter in Kopenhagen. Der Diplomat suchte den dänischen Politiker am 28. September 1943 auf. Bereits am 29. September früh morgens wurde die Jüdische Gemeinde anläßlich eines Gottesdienstes in der Kopenhagener Synagoge gewarnt.
In den folgenden Tagen wurden die JüdInnen von den kleinen Fischereihäfen entlang der Küste Nordseelands in Booten über den Øresund nach Schweden geschafft. Viele FluchthelferInnen arbeiteten umsonst – sie werden in diesen Tagen gefeiert. Andere nahmen viel Geld für ihre Fluchthilfe.
In den ersten Oktobertagen lag der Preis bei einigen Fischern bis zu 10.000 Kronen (ein Facharbeiter verdiente 1943 etwa 4.500 Kronen jährlich). Später stabilisierte sich der Preis bei 2.000 Kronen pro Person. Einige der ärmeren JüdInnen konnten für „nur“ 500 Kronen entkommen. Insgesamt wurden ungefähr 200 JüdInnen bei den Razzien in der Nacht zum 2. Oktober verhaftet. Weitere 275 wurden auf der Flucht gefangengenommen. Weit mehr als 6.000 Menschen konnten nach Schweden flüchten.
Die verhafteten JüdInnen aus Dänemark wurden ins Konzentrationslager Theresienstadt gebracht, wo mehr als 50 von ihnen starben. Die Überlebenden kamen mit den „Weißen Bussen“ des schwedischen Grafen Folke Bernadotte im Frühling 1945 nach Skandinavien zurück.
Die andere Geschichte, die heute nicht an die große Glocke gehängt wird, handelt von den Tausenden deutschen JüdInnen, die während der dreißiger Jahre an der dänischen Grenze abgewiesen wurden. Der jüdisch-dänische Historiker Bent Blüdnikow erinnert an die Statistik aus der Zeit zwischen dem 1. Juli und 1. Oktober 1938 – anderthalb Jahre, bevor der Krieg nach Dänemark kam. 527 deutsche JüdInnen ersuchten damals um die Erlaubnis, nach Dänemark einzureisen. 291 wurden zurückgewiesen. 55 konnten ins Land, weil sie belegten, daß sie Dänemark nur als Transitland benutzen wollten. Vom Schicksal der übrigen 181 gibt es – so der Historiker – keine Spur.
Die Grenzen Dänemarks waren auch nach der „Reichskristallnacht“ 1938 für deutsche JüdInnen – wie übrigens auch für die meisten politischen Flüchtlinge aus Deutschland fast dicht. Einige JüdInnen erhielten Aufenthaltsgenehmigungen für drei bis sechs Monate und wurden anschließend deportiert.
Noch 1941 übte die dänische Polizei – an leitenden Stellen seit den dreißiger Jahren mit dänischen Nazi-Sympathisanten besetzt – Druck auf deutsch-jüdische Flüchtlinge aus, damit sie nach Deutschland zurückgingen.
Seit Beginn dieses Sommers fühlen sich manche DänInnen an jenes dunkle Kapitel erinnert, denn seit dem 1. Juli verlangt das Land ein Visum von BosnierInnen. Die Regelung hat sich als effizient erwiesen – Flüchtlinge vom Balkan gelangen nur noch in Ausnahmefällen nach Dänemark.
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