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Der Pfarrer schwieg vor Gericht

Im Prozeß um die Morde in Mölln verweigert die Kirche eine Aussagegenehmigung / Die Angeklagten sollen dem Gefängnisseelsorger den Brandanschlag gestanden haben  ■ Aus Schleswig Kerstin Kampen

Was er weiß, das gibt er nicht preis, der Gefängnispfarrer der Angeklagten Lars Christiansen und Michael Peters im Prozeß um die Morde von Mölln. Zwar wollten Ankläger und Angeklagte, daß er spricht, doch der Pastor, der inzwischen im Ruhestand ist und am gestrigen Donnerstag vor dem Oberlandesgericht in Schleswig als Zeuge geladen war, will und darf sein Schweigen nicht brechen. „Ich würde auch nicht aussagen, wenn ich eine Genehmigung hätte“, erklärte der 63jährige.

Die nordelbische Kirche hat dem Geistlichen, mit dem Peters und Christiansen während ihrer Untersuchungshaft gesprochen haben, die Aussagegenehmigung verweigert. Der Kirchenleitung geht es ums Prinzip. „Ein Pastor hat über alles, was ihm in seiner Eigenschaft als Seelsorger anvertraut oder bekannt geworden ist, zu schweigen“, heißt es in dem Schreiben des nordelbischen Kirchenamtes an den Zweiten Strafsenat. Das gelte besonders für Gefängnisgeistliche, die häufig durch ihre Gespräche mit Häftlingen Dinge erfahren würden, die in einem Strafprozeß entscheidungserheblich sein könnten.

Dabei soll der 63jährige Pastor schon geplaudert haben. Die ehemalige Freundin von Lars Christiansen, Sandra T., hatte in Schleswig erklärt, der Pfarrer habe ihr erzählt, Lars bereue die Tat, und Peters sei noch stolz drauf. Bei den Brandanschlägen Ende November vergangenen Jahres in Mölln kamen drei Türkinnen ums Leben. Sandra T. saß zur selben Zeit mit Christiansen wegen Anschlägen auf Asylbewerberheime in Gudow und Kollow in Untersuchungshaft und war im Juni vom Landgericht Lübeck zu einer mehrjährigen Haftstrafe ohne Bewährung verurteilt worden. Aufgrund der Aussage der 18jährigen rückte der Geistliche ins Rampenlicht des Prozesses. Es geht dabei nicht nur darum, ob die Angeklagten ihm ihre Taten gestanden haben, sondern auch um den Wahrheitsgehalt der Aussage der Zeugin. Denn die Anklagevertreter glauben Sandra T. nicht. Sie vermuten, daß das Mädchen mehr über die Anschläge in Mölln weiß, als sie vor Gericht sagt, zumal sie nach Ansicht der Bundesanwaltschaft während ihrer zweitägigen Vernehmung im Gerichtssal dreimal gelogen hat und erst spät ihre Aussage korrigierte. Sie erinnerte sich erst stückchenweise, nachdem der Angeklagte Christiansen Hilfestellung geleistet und sein Verteidiger schützend eingegriffen hatte. Der Vorsitzende Richter Hermann Ehrich brachte es auf den Punkt: „Das ist je ein bißchen wie Vorsagen.“ Nach diesen Hilfen räumte sie Unverfängliches ein. Kam keine Hilfe des Ex-Freundes oder seines Verteidigers, konnte sie sich kaum erinnern.

Der Pfarrer sollte Licht ins Dunkel bringen, doch allein aufgrund seiner Redseligkeit gegenüber der früheren Freundin von Christiansen droht ihm möglicherweise ein kirchliches Disziplinarverfahren. Das Kirchenamt, so heißt es in dem Brief an das Gericht, sei sich darüber im klaren, daß der Pastor durch die Behauptung der Freundin „im Blick auf seine seelsorgerische Schweigepflicht“ belastet sei. Doch „die Kirche mutet ihren Pastoren zu, die aus einer Aussageverweigerung entstehenden Nachteile – in diesem Fall denkbare Spekulationen – hinzunehmen“.

Als überraschend werteten einige Prozeßbeobachter, daß das Gericht gestern einen Film als Beweismittel zugelassen hat, in dem Zusammenhänge zwischen Anschlägen auf von Ausländern bewohnte Häuser und dem politischen Klima in Deutschland dargestellt werden. Der Nebenklageanwalt Hans-Christian Ströbele hatte einen Beweisantrag gestellt, in dem er die Vorführung der WDR- Fernsehdokumentation „Wer Gewalt sät ... Von Brandstiftern und Biedermännern“ vom Januar 1993 verlangt hatte, um darzustellen, daß auch Politik Verantwortung trägt für solche Anschläge. Das Gericht nutzte eine längere Pause zwischen zwei Zeugen für die Vorführung des drei Viertelstunden langen Films.

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