„Wir sind keine Eisverkäufer“

■ 2000 Bauarbeiter protestieren gegen Streichung des Schlechtwettergeldes   Von Kai von Appen

„Es ist fünf vor zwölf!“ – So das Motto der Gewerkschaft Bau Steine Erden (BSE). Einige Malocher waren aber anderer Meinung: „Es ist bereits fünf nach zwölf!“ Vor dem Hamburger Arbeitsamt lief daher gestern mittag gar nichts mehr: Zahlreiche Lkws von Bau- und Gerüstfirmen blockierten die Straßen, 2000 Malocher hatten die Arbeit niedergelegt, machten ihrem Unmut und ihrer Wut vor dem Haus der Arbeitsvermittlung Luft und protestierten gegen die Streichung des Schlechtwettergeldes.

In ihren Reden gingen die eher konservativen Baugewerkschafter mit der Bundesregierung scharf ins Gericht: „Wir lassen uns staatlichen Lohnraub nicht gefallen! Das Maß ist voll!“, so der BSE-Nord-Chef Hans Schmidt. Das Schlechtwettergeld war 1959 im gemeinsamen Interesse von Unternehmern und Gewerkschaften von der Adenauer-Regierung eingeführt worden, um die wetterbedingte Winterarbeitslosigkeit zu mildern. An Tagen, an denen die Malocher im Freien auf dem Bau nicht arbeiten können, bekommen sie bei reduzierter Lohnfortzahlung vom Arbeitsamt einen Ausgleich.

Im Zuge der Bonner Sparpläne soll dieser Ausgleich nun gestrichen werden. Schmidt: „Wenn man den Steuerhinterziehern und Subventionsbetrügern auf die Pelle rücken würde, könnten Milliarden-beträge in die Haushaltskassen kommen. Jetzt will man dem Mann vom Bau in die Tasche greifen und wird ihn ins soziale Elend treiben.“

Nach BSE-Berechnungen ist die geplante Kürzung volkswirtschaftlicher Irrsinn. Um durchschnittlich 720 Mark Schlechtwettergeld pro Person pro Monat zu sparen, würden allein in Hamburg ab Dezember 1994 15.000 Beschäftigte in die Arbeitslosigkeit getrieben. Bundesweit: Statt rund zwei Milliarden Mark bundesweit an Schlechtwettergeld zu sparen, muß das Arbeitsamt drei Milliarden Mark an Arbeitslosenunterstützung leisten. Dazu kommen weitere Millionen an staatlichen Mindereinnahmen bei Lohnsteuer und an Sozialversicherungsbeiträgen.

Für Baubetriebsrat Günther Karl gibt es daher nur die harte Tour: „Wir sind keine Eisverkäufer. Wir lassen uns nicht zu Saisonarbeitern machen.“ Wenn die Regierung nicht ihre Beschlüsse revidiert, werde es ihr an den Kragen gehen. Karl: „Schlechtes Wetter kann man sich nicht aussuchen – aber eine Regierung.“ Karl warnte davor, daß die Bauarbeiter bei ihrer Bundesdemo am 28. Oktober in Bonn auch mit ihren Geräten erscheinen könnten. Karl: „Mit Geräten meine ich Hämmer und Plattschaufeln.“

Gegen die Streichung des Schlechtwettergeldes haben sich auch die Hamburger Handwerkskammer und die Bauinnung ausgesprochen. Es sei der Versuch, „die Tarifautonomie auf dem Gesetzeswege auszuhebeln“. Und die Kieler Landes-SPD: „Die von der Bundesregierung geplante Streichung des Schlechtwettergeldes ist ein Rückschritt in die Zeit vor 1959.“