piwik no script img

Auf der Suche nach Shangri-La

Sonnenziele haben im Winter Hochkonjunktur. Eine nostalgische Spurensuche in Nepal, einstiges Ziel der Wohlstandskids, die sich mit dem Magic Bus von Amsterdam zum Hippie-Trail aufmachten, um dort zu überwintern  ■ Von Colin Goldner

„Follow me to heaven“ steht eingraviert mit Kugelschreiber quer über der Toilettentür des pie- shop – eine Art Kaffeehaus-Spelunke – zu lesen. Darunter die Initialen „J.H.“. Der Meister selbst, wie der Wirt des eher finsteren Etablissements ungefragt versichert, Jimi Hendrix also, habe diese Inschrift hinterlassen, als er im Sommer 68 hier vorbeikam. Hier, das bedeutet nichts anderes als Kathmandu, Nepal, Shangri-La – das gelobte Land einer ganzen Generation.

Ein Vierteljahrhundert ist es her, daß die ersten ihrer Zivilisation überdrüssigen Wohlstandskids sich von San Francisco, Amsterdam oder München aus auf den Weg machten ins Reich ihrer Träume: Freiheit von überkommenen Werten, Normen und Zwängen, „spirituelle“ Selbst- und Seinserfahrung und, vor allem, jede Menge bester, spottbilliger und obendrein völlig legaler shit (Haschisch). Bald zogen ganze Heerscharen mehr oder minder Ausgeflippter in das „Magic Kingdom“ im Himalaya hinterher.

Kinder und Hunde liebten die drop-outs und flower children. Diese kamen in einem bunt bemalten Vehikel („Magic Bus: Amsterdam–Kathmandu in 4 Wochen“), gelegentlich auch im eigenen Opel-Blitz oder Bedford-Van, die meisten aber per Anhalter und/ oder zu Fuß quer durch die Türkei, Persien, Afghanistan, Pakistan und Nordindien. Die Nepali liebten sie weit weniger. Zu ungeniert machten sich die Freaks um den Basanthapur Tower herum breit, ebenso vollgekifft wie spärlich bekleidet. Sie scherten sich den Teufel um kulturelle oder religiöse Tabus, die sie damit verletzten: „All you need is love“ bedeutete oftmals Sex in aller Öffentlichkeit, ohne Hemmungen auch mitten in einem Tempel oder Gebetsschrein. Auch Prostitution von Hippie-Girls war nicht unüblich.

Besonders ärgerlich an den Langhaarigen – die Nepalis nannten sie bandar (Affen) – war freilich, daß an ihnen nichts zu verdienen war. Im Versuch, die mißliebigen Hippies wieder loszuwerden, die Anfang der Siebziger ganze Kolonien nicht nur in Kathmandu, sondern vor allem auch am Lake Phewa in Pokara (200 Kilometer westlich der Hauptstadt) etabliert hatten, schränkte die nepalische Regierung die Aufenthaltserlaubnis für Ausländer drastisch ein: nur noch drei Monate pro Jahr, ab dem zweiten Monat Zwangsumtausch von (heute) 20 US-Dollar pro Tag. Zudem wurde mit Erlaß vom 17.7. 73 der Verkauf von Drogen – und vor allem der Konsum in den pie- shops – rigoros verboten. Selbstredend war (und ist) dope jeder Art nach wie vor auf der Straße erhältlich – der legendäre Ruf Nepals als Kiffer-Paradies aber war dahin.

Ob die Geschichte mit Jimi Hendrix wahr ist oder nicht, muß dahingestellt bleiben. Wahr ist, daß sie alle da waren, die Idole psychedelischer 68er-Sehnsucht – vornedran Janis Joplin, John McLaughlin, Cat Stevens, George Harrison und wie sie alle hießen. Wahr ist auch, daß wohl kaum einer der seinerzeitigen Pilger auf dem Hippie-Trail gen Osten Kathmandu heute wiedererkennen würde. Am wenigsten die Jhochhen Tole (sprich: Dschotsch'hen Tole), Endstation der magical mystery tour: eine Seitenstraße des Basanthapur Square, seit den Tagen der Langhaarigen und bis heute selbst von den Einheimischen „Freak Street“ genannt. Ein paar der alten Buch- und Klamottenläden sind noch da, die vergammelten pie-shops und lodges aber sucht man vergeblich. Dort konnte man früher für ein paar Rupees tage-, wochen-, ja monatelang herumhängen und sich die Birne volldröhnen. Buchstäblich jede Art von Drogen war hier frei erhältlich – die pie-shops hatten sogar offizielle Verkaufslizenzen –, vor allem natürlich ganja (Haschisch): Eine tola (etwa 11 Gramm) kostete nicht mehr als zwei oder drei Rupees (weniger als 0,50 DM). Die Schilder mit den legendären Namen wie „Don't pass me by“, „Yes-Yes“ oder „August Moon“ sind längst verschwunden. „Säuberungsrazzien“ der Polizei haben den magic carpet-rides den Garaus gemacht. Die ehemaligen Kiffer- und Junkie-Höhlen heißen jetzt „Paradise Restaurant“, „Oasis“, gar „Mona Lisa“. Sie bemühen sich um ein gepflegteres Ambiente – wenngleich man augenfällig versucht, mit dem verblichenen Ruhm alter Tage zu glänzen.

Auch die Freaks sind verschwunden. Wohl gibt es noch ein paar abgefuckte Vögel, die wie eh und je in Jesuslatschen und dazu passender Haartracht herumhocken und sich einen Joint nach dem anderen reinziehen. Kiffen in aller Öffentlichkeit ist freilich riskant geworden in Kathmandu. Die Polizei greift bisweilen knüppelhart durch. „Freak Street is dead“, ist denn auch auf einem Latrinenspruch im „Mona Lisa“ zu lesen. Am nächsten kommen den alten Freaks noch die Asien-Traveller, für die alles, was unter einem halben Jahr unterwegs ist, der geringgeschätzten Kategorie der Touristen zugehört. Traveller, meist auf low budget, logieren gerne in den Billighotels der Gegend.

Ganz anders ist die Mehrzahl der heutigen Nepal-Reisenden. Man wohnt bevorzugt in Thamel, dem Touristen-Ghetto im Norden Kathmandus, in dem sich zur Hochsaison Zigtausende von Trekkern und Möchtegern-Abenteurern tummeln. Vor oder nach der obligaten Trekking-Tour gehört ein Abstecher in die Freak Street ebenso dazu wie der Besuch des legendären Affentempels von Swayambu oder des Shiva-Heiligtums in Pashupathinath. Der Mythos Freak Street ist den meisten, wenn überhaupt, nur aus dem Reiseführer bekannt. Vielfach allerdings gefallen die Vier-Wochen- Urlauber sich auch darin, für kurze Zeit so zu tun als ob: in besonders freakigem Outfit, oft barfuß und nur mit einem Tuch um die Lenden, lungern sie tagsüber in der Basanthapur-Gegend herum. Abends lassen sie sich dann mit der Rikscha zu ihrem guesthouse in Thamel zurückkutschieren. Weit peinlicher noch sind freilich die Reisegruppen wohlarrivierter Mittvierziger, die jetzt, 25 Jahre später, mit Gewalt nachholen wollen, was sie „damals“ versäumt haben – oder mit Genugtuung vor Ort konstatieren, eben nichts versäumt zu haben: unrasiert und mit grellbuntem Bob-Marley-T-Shirt über den füllig gewordenen Hüften die einen, im sportlichen leisure-wear die anderen. Auf jeden Fall wird jeder Quadratmeter Freak Street auf Video gebannt.

Apropos: In Pashupatinath, dem berühmten Pilgerort etwas außerhalb Kathmandus, trifft man im Sommer zahllose „heilige Männer“, sadhus, in safranfarbenen Gewändern, die, gänzlich abgewandt von weltlichen Belangen, ein Leben in Meditation und Entsagung führen. Unverzichtbar auf dem Weg der Versenkung ist die tönerne gansha-Pfeife, chilum genannt, deren unverkennbarer Geruch quer durch den heiligen Ort wabert. Er vermischt sich mit dem beißenden Qualm der kaligaths am Bagmati-Fluß, wo die Toten verbrannt werden. Selbstredend sind auch die sadhus begehrte Foto- und Videoobjekte, inzwischen posieren einige sogar gegen Entgelt vor den Kameras.

Einer der „heiligen Männer“, das bestimmt bis zu den Knien reichende graue Haupthaar zu einem kunstvollen Knoten auf dem Kopf verschlungen, unterbricht plötzlich sein monotones Gebetsgemurmel. Mit einer Feststellung in astreinem Bayerisch frappiert er eine Gruppe deutscher Touristen, die die sengende Sonne bestöhnt: „Jetzt waar a Weißbier recht, was?“ Ungläubiges Kopfschütteln. Nach Entrichtung von 100 Rupees stellt sich heraus, daß er aus der Gegend von Erding stammt, einer Kleinstadt im Nordosten Münchens. Vor über zwanzig Jahren war er nach Nepal gekommen und lebt seither hier unter den sadhus. Seinen Namen hat er vergessen – oder er will ihn nicht sagen. Als ihm die Fragerei zu aufdringlich wird, klappt er die Augen nach hinten und versinkt wieder in sein „Shree Ram, Shree Ram, Shree Ram ...“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen