piwik no script img

Singe, wem Gesang gegeben ...

Wenn Sportler zum Mikrophon greifen / Eine Moritat mit diversen Fallbeispielen  ■ Von Holger Jenrich

Wir kennen sie vom Fußballplatz, vom Tennisrasen, vom Boxring. Wir lieben sie wegen ihrer Fallrückzieher, ihrer Rückhandvolleys, ihrer rechten Geraden. Und wir fürchten sie wegen ihrer geheimen Leidenschaft: des Gesangs. Seit jeher spazieren Spitzensportler vom Stadion ins Studio, um der Öffentlichkeit mit Stimm- statt Schlag- oder Schußkraft zu gefallen.

Wie zuletzt der Tenniscrack Yannick Noah. Der Afro-Franzose aus Kamerun trug schon zu Zeiten, da er sich mit Grazie und Genauigkeit bis auf Rang vier der Tennis-Weltrangliste spielte, die Insignien eines Popstars des ausgehenden 20. Jahrhunderts: Schmollmund wie Mick Jagger, Teint wie Prince und Rasta-Zöpfchen wie Bob Marley. Professionalität ist bei ihm Programm – nicht zuletzt, seit er sein Leben komplett umgekrempelt hat, um fürderhin mit Gesang statt mit Grand-Slam-Turnieren sein Geld zu verdienen. „Ich habe mich für diesen neuen Anfang entschieden, weil ich Musik liebe, weil ich dadurch besser mit Menschen kommunizieren und ihnen vielleicht mehr Freude bereiten kann, als wenn ich immer nur Bälle übers Netz schlage“, erzählt der 32jährige. Freude macht Yannick Noah nicht zuletzt seiner Plattenfirma: Sein Reggae-inspiriertes Schallplatten-Debüt „Black & What?“ aus dem Jahr 1991 ging allein in Frankreich 150.000mal über die Ladentheke, die unlängst erschienene Nachfolge-CD „Urban Iribu“ wartet mit gradlinigem Rock und europaweit akzeptablen Verkaufszahlen auf.

Popmusik in ihren verschiedenen Schattierungen war bisher in den seltensten Fällen die Domäne der musizierenden Sportkanonen – in deutschen Gefilden schon gar nicht. Die englische Fußballnationalmannschaft nahm, auf gesanglicher Ebene innovativer als auf sportlicher, zur Weltmeisterschaft 1990 mit den New-Wave-Helden von New Order den Song „World in Motion“ auf. Kameruns Fußball-Idol Roger Milla, bei der 1990er-WM in Italien durch seine Tore und Lambada-Tänze an der Eckfahne zu weltweiter Berühmtheit gelangt, mehrte seine Popularität 1991 durch die Disco-LP „Saga Africa“ und die darauf enthaltene tanzbare Eigenhommage „The Milla Move“. Der Brite Kevin Keegan, in seiner Zeit beim Hamburger SV 1978 und 1979 jeweils Europas Fußballer des Jahres, eroberte 1979 mit der poppigen Schmuse-Hymne „Head over Heels in Love“ die Hitparaden nicht nur seiner Heimat. Und Ruud Gullit, der niederländische Ausnahme-Kicker mit der Dreadlock-Frisur, machte seinem Outfit alle Ehre: Als Sänger der Reggae- Band „Revelation Time“ bewies er 1988 mit der Nelson Mandela gewidmeten Single „South Africa“, daß er's nicht nur in den Beinen hat.

Hierzulande sind die sangesfreudigen Sportstars seit jeher mehr Grüßen und Küssen, Lieben und Trieben zugetan. Dem schaurig-schönen Schlager gehört des deutschen Athleten ganzes Herz – egal, ob er auf Skiern über Schneepisten, auf Segelbooten über Weltmeere oder auf Kufen durch Eiskanäle saust. Wie Hans-Jürgen Bäumler, der in den frühen sechziger Jahren mit Eiskunstlauf-Partnerin Marika Kilius Weltmeisterschaften und olympische Edelmetalle gleich im halben Dutzend abgriff und neben Damenherzen im Wirtschaftswunderdeutschland auch noch die Hitparaden eroberte. Im Juni 1964, der spätere TV-Showmaster hatte einmal mehr die weltbesten Doppelaxel und Salchows aufs Eis gesetzt, ließ er die Konkurrenz der Heinos und Freddys und Ronnys besonders alt aussehen: Mit der Schnulze „Wunderschönes fremdes Mädchen“ und dem Kilius-Duett „Honeymoon in St. Tropez“ belegte er gleichzeitig den zweiten und dritten Platz der Verkaufshitparade. Wenige Wochen zuvor hatte er mitsamt Marika schon auf Wildwest gemacht: „Wenn die Cowboys träumen, ja dann träumen sie / Nicht von Küssen und von Mädchen, nicht von Whisky und von Städtchen / Nein, dann träumen sie von der Prärie.“

In einem Land, in dem die Damen einen Cowboy als Mann haben und Holiday in Honolulu machen wollten, ließen sich auch bodenständige Berufssportler in Anbetracht eines Mikrophons vom Fernweh anstecken. Der Österreicher Tony Sailer, der 1956 bei der Winterolympiade in Cortina d' Ampezzo drei Goldmedaillen im Skilaufen geholt hatte, tanzte drei Jahre darauf seinen „Tiroler Hula Hup“ – eine krude Mischung aus Krachlederner und Karibik. Der Berliner Bubi Scholz, der in den Sechzigern als Box-Europameister groß raus und in den Achtziger nach dem unfreiwilligen Ableben seiner Frau Helga ins Kittchen kam, bestellte musikalische Grüße vom „starken Joe aus Mexiko“. Der Kölner Martin Lauer, der 1960 in der Sprintstaffel olympisches Gold errang und heute als Diplom- Ingenieur arbeitet, bestellte sich damals, „weil der Bill sich mit Johnny schießen will“, ein mit dem Silbernen Löwen von Radio Luxemburg dekoriertes „Taxi nach Texas“. Und selbst den Jugoslawen Peter Radenkovic hielt es nicht da, wo er eigentlich hingehörte: Als Fußballtorhüter des TSV 1860 München erlaubte er sich vielumjubelte Ausflüge außerhalb des Strafraums, als sangesfreudiger „einsamer Gaucho“ Flirts unter heißer Sonne: „Gib mein Herz mir zurück, Muchacha. Adios, vorbei ist vorbei.“

Gesungen haben sie so gut wie alle auf dem Höhepunkt ihrer Karriere. Der Segler Willi Kuhweide, bei der Olympiade 1964 in Tokio mit Gold bedacht, brachte 1965 seiner „liebe(n) kleine(n) Seemannsbraut“ ein Ständchen. Carl Kaufmann, 1960 Weltrekordler und Silbermedaillen-Gewinner im 400-Meter-Lauf, schmetterte im selben Jahr im Stil eines Kammersängers „Amor läuft mit“. Eiskunstläufer Manfred Schnelldorfer, 1964 mit olympischem Gold und dem Weltmeistertitel geschmückt, tirilierte sich mit „Wenn Du mal allein bist“ (1964) auf Platz Vier und dem Nachfolgeschlager „Traurig sein bringt nichts ein“ (1964) auf Rang 31 der Hitparade. Und selbst die Springreiter Hermann Schridde und Alwin Schockemöhle mühten sich 1967 mit Tonleitern statt mit Oxern und Mauern ab: Ihre Vornamen fügten sie zu „Die Herals“ zusammen und trällerten reichlich erfolglos das Liedchen „Träume, Liebling“.

Die Stimmwunder der sportlichen Zunft indes sind seit eh und je die Fußballer. Die sind schließlich nie aus der Übung gekommen: Seit 1974 stimmt sich die deutsche Nationalelf in schöner Regelmäßigkeit singenderweise auf anstehende Weltmeisterschaften ein. Erfolgreich übrigens – das ständige Herunterleiern von „Fußball ist unser Leben“ (1974) und „Wir sind schon auf dem Brenner“ (1990) führte prompt zum Titelgewinn. Auch bei anderen Kickern hat sich derartige Kehlkopfakrobatik überaus positiv auf die sportliche Leistungsfähigkeit ausgewirkt. Torhüter Peter Radenkovic sang sich 1965 in putzigem Jugo- Deutsch mit „Bin i Radi – bin i König“ bis auf Platz fünf der Hitparaden – ein Jahr später wurde seine Mannschaft München 1860 deutscher Meister. Gerd Müller, der „Bomber der Nation“, motivierte sich 1968 mit den Songs „Das gibt ein Schützenfest“ und „Dann macht es bumm“ selbst zu Höchstleistungen – wenige Wochen später erhielt er als der Liga treffsicherster Stürmer die Torjägerkanone. Und Fußball-Majestät Franz Beckenbauer lieferte 1966 mit „Gute Freunde kann niemand trennen“ die Begleitmusik zum schier unsterblichen „Elf Freunde“-Mythos – der Fußball-Gott beschenkte ihn dafür reichhaltig mit deutschen sowie Europa- und Weltmeisterschaften, mit DFB- und diversen Europapokalen und mit ersten Plätzen bei den Wahlen zu Deutschlands und Europas bestem Fußballspieler.

Was bei Franz gutging, ging bei anderen allerdings schief. Linksaußen Charly Dörfel konnte 1965 noch so samtweich „Das kann ich Dir nicht verzeih'n“ in Richtung Schiedsrichter säuseln – der Hamburger SV wurde mit seinen Flankenläufen nie deutscher Meister. Die Kremers-Zwillinge Helmut und Erwin konnten 1974 am Schalker Markt noch so sehnsüchtig vom „Mädchen meiner Träume“ schwärmen – die Blau-Weißen aus Gelsenkirchen holten seither nie mehr einen Titel. Und selbst den erfolgsverwöhnten Münchner Bayern ist in diesem Jahr die Singerei nicht gut bekommen. „Forever Number One“ hatten die siegesgewissen Profis um Lothar Matthäus vor wenigen Wochen noch ins Mikro geschmettert. Doch als die CD endlich erschien, hatte Werder Bremen im Rennen um die Meisterschale die Nase vorn. Und die Bayern waren einmal mehr nur „Number Two“ ...

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen