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Ein Autor gräbt sich ein

Wie umarmt man ein Parteiprogramm: Heiner Müller inszeniert „Duell Traktor Fatzer“ von Brecht/Müller am Berliner Ensemble. Zur Premiere rieselte Schutt von der Decke  ■ Von Sabine Seifert

Aus dem linken Lautsprecher erschallt die alte DDR-Hymne mit dem Becher-Text, aus dem rechten ertönt das altbekannte „Einigkeit und Recht und Freiheiheit“, Nationalhymne der alten und neuen Bundesrepublik. Musikalische Einstimmung auf einen Themenabend deutscher Geschichte, der zwar im Theater spielt, dort aber mühsam nur voran- beziehungsweise eigentlich zurückschreitet (auch im Foyer des alten Brecht- Theaters hängt eine Uhr, die rückwärts läuft). Ob jemand den Lautstärkeregler für den rechten Lautsprecher absichtlich aufgedreht hat, damit die BRD-Hymne deutlicher vernehmbar ist? Welche Politstrategen sitzen nun eigentlich am längeren Hebel?

Nachdem man erst großspurig am Berliner Ensemble verkündet hatte, keinen Brecht spielen zu wollen, ist man nach einem Jahr unter dem neuen und bereits von fünf auf vier Direktoren geschrumpften Leitungsteam offensichtlich jetzt dazu bereit. Schließlich waren es gerade die musealen Brecht-Inszenierungen, die viele (auswärtige) Besucher in dieses Theater gezogen hatten, und viele Besucher dürften dem nach der ersten schwachen Spielzeit leicht ramponierten Ruf des Hauses kaum schaden. Ein frommer Wunsch.

Jetzt gibt es wieder einen Brecht, versehen dazu mit einem weiteren prominenten Namen, dem Heiner Müllers, der das frühe Brecht-Fragment „Fatzer“, das noch aus den zwanziger Jahren stammt, neu erarbeitet und mit Passagen aus eigenen Stücken beziehungsweise Texten („Wolokolamsker Chaussee“, „Traktor“ und „Mommsens Block“) kombiniert hat. Titel des keinesfalls beifallheischenden Abends: „Duell Traktor Fatzer“, der Autor führt Regie.

Heiner Müller hat bereits in Interviews angekündigt, er werde sich in Zukunft wieder nur noch dem Schreiben widmen. Seiner jüngsten Regiearbeit ist vor allem dieser Wunsch anzumerken: Rückzug, Abkehr vom Publikum, das mit einem ausgesprochen abweisenden und nichttheatralischen Regiestil konfrontiert wird, der die ohnehin monologische und kompliziert gewebte Struktur der Müller-Texte bloß betont statt konterkariert. Der Müllersche Sprachduktus manifestiert sich in Blöcken, die wie losgelöst von den Figuren im Raum schweben, gewaltige Sprechblasen bilden. Die Schauspieler verwandeln sich in Sprechmaschinen; aus den verschlungenen Sprachgebilden blitzt hin und wieder mal ein schön formulierter oder vertrackt dialektischer Satz auf (oder verblüfft Sie die Frage „Wie umarmt man ein Parteiprogramm?“ etwa nicht?), der Rest bleibt ins Dunkle und Geheimnisvolle getaucht.

Der Text kommte entweder aus Männermündern geschossen, wird von einem weiteren Sprecher verdoppelt, klingt mit Echo nach oder wird gleich vom Tonband eingesprochen – wie Müllers einziger Text aus der Zeit nach 1989, „Mommsens Block“, der zum Pausengeflüster degradiert wird. Die einzige, die aus diesem Männerbund (hervorragend Hermann Beyer neben Ekkehard Schall, Hans-Peter Reinecke, Jaecki Schwarz) herausfällt, ist die Schauspielerin Eva Mattes, der es nicht so richtig gelingt, das gefühlvolle, naive und melodiöse Element, das ihr Spiel sonst so auszeichnet, zurückzudrängen. Aber in dieses statuarische, starre Spiel paßt diese Art Anmut nicht; außerdem hat sie furchtbare und typische Müller- Frauenrollen zu verkörpern: die Frau mit Krebs, die Krankenschwester usw.

Die Bühne kennt ein einziges Bild: Ein übergroßer Tisch wurde auf die Bühnenschräge montiert, der so hoch ist, daß, wer auf einem Stuhl sitzt, bloß mit dem Kopf über die Tischkante gucken kann. Der vorherrschende Farbton ist Grau, einzig ein schmaler roter Läufer durchquert den Raum, an dessen Ende ein junger Mann an einem kleinen Schreibtisch sitzt und die gesamte Inszenierung über dem Publikum den Rücken zuwendet. Er hört mit, vielleicht schreibt er auch mit.

Das Bühnenbild suggeriert eine Verhörsituation, die das Verfassen und Verlesen von Protokollen unumgänglich macht. So fügt es sich gut ins Bild, daß der inzwischen 88jährige Schauspieler Erwin Geschonnek, einst ein großer DEFA- Star und langjähriges Mitglied im Ensemble, seinen Text nur mehr ablesen kann.

Geschonnek ist selbst eine Ikone der DDR-Geschichte, eine legendäre Gestalt, die das alte Spanienlied anstimmt. Müller betreibt Erinnerungsarbeit, bloß legt er dabei nichts frei, sondern gräbt sich ein oder vielmehr zurück. Zurück bis zum Ersten Weltkrieg, der dem Egoisten Fatzer und seinen Kumpanen das Leben schwermacht und mit dem die deutsche Tragödie laut Müller ihren Anfang nahm. Weitere Etappen von Müllers historischer Wanderlust sind: Prag 1968 und der Juni-Aufstand von 1953, überhaupt die DDR in ihren Anfängen.

Neue Fund- und Beweisstücke, überhaupt irgendwelche womöglich gar irritierenden Bilder fördert Müller hierbei nicht zutage. Das Motto des Abends wurde schon vorab vom Theaterplakat herab verkündet, es stammt aus „Fatzer“ und zielt also auf damals wie heute: „und von jetzt an und eine ganze zeit über wird es keinen sieger mehr geben / auf eurer welt sondern nur mehr / besiegte.“

An irgendeiner Stelle im Verlauf des Abends rieselt Schutt aus der Decke. Und an einer anderen Stelle heißt es: „die erkenntnis kann an einem anderen ort gebraucht / werden als wo sie gefunden wurde.“

Brecht/Müller: „Duell Traktor Fatzer“. Regie: Heiner Müller, Bühne: Stephanie Burkle/Mark Lammert. Mit Hermann Beyer, Georg Bonn, Erwin Geschonnek, Eva Mattes, Hans-Peter Reinecke, Ekkehard Schall, Jaecki Schwarz, Uwe Steinbruch. Berliner Ensemble.

Nächste Aufführungen: 1.–3.10., 5.–7.10.

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