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„Frisches Blut“ oder „Armutszeugnis“?

■ Altonaer Paulus-Gemeinde plant Beschränkung auf einen Gottesdienst pro Monat / Kirchenleitung geht auf die Barrikaden / Begeisterung der Basis hält sich in Grenzen

War es das Erntedankfest oder war es bereits die Antwort der Konterrevolutionäre? Gestern morgen blieb zumindest in der Altonaer Pauluskirche zum Morgen-Erntedankfest-Gottesdienst kein Platz unbesetzt. Wenige Tage zuvor hatte der amtierende Kirchenvorstand in Kirchenkreisen mit der Ankündigung „Paulus plant den Putsch“ für heftigen Wirbel gesorgt: Ab kommenden Juli soll nach seinen Plänen nur noch einmal im Monat der gewohnte Sonntagsgottesdienst stattfinden.

Damit ist die Paulus-Kirche die erste Hamburger Gemeinde, die mit einer jahrhundertealten Kirchentradition bricht. „In Paulus soll damit eine Reform gestartet werden, die längst überfällig ist“, heißt es dazu im Gemeindeblatt „Pauluspost“. In den vergangenen Monaten kamen nach Angaben von Pastor Peter Hüttemann und Pastor Wolf-ram Stauffer durchschnittlich nur 20 Besucher zu den regulären Gottesdiensten. Daher wolle die Kirche ihre Kräfte auf einen monatlichen Haupt-Gottesdienst konzentrieren. An den anderen Sonntagen sollen spezielle Kinder-, Tauf- oder Familien-Singegottesdienste stattfinden.

Die Nordelbische Kirchenleitung bringt die kirchliche Umwälzung indes auf die Barrikaden. In der Zentrale an der Alten Burg werden bereits alle konterrevolutionären Bataillone mobilisiert, um die Kirchenrevolution niederzuschlagen. Hamburgs Bischöfin und Kommandantin Maria Jepsen: „Einen Sonntag ohne Vaterunser und Segen kann ich mir nicht vorstellen.“ Sie selber habe an der Nordfriesischen Kirchenfront „viele Gottesdienste gehalten, bei denen nur fünf Christinnen und Christen anwesend waren und es waren dennoch 'volle' Gottesdienste“. Pressepastor Hinrich Westphal nannte die Putschistenpläne gegenüber dem Evangelischen Pressedienst diplomatisch ein „geistliches Armutszeugnis.“ Den Paulus-Revolutionären fehle es offenkundig an „Kreativität, Phantasie und „frischem Herzblut“, wenn sie es nicht schaffen, von „3000 Gemeindemitgliedern sonntags 50 Gläubige in die Kirche“ zu mobilisieren.

Eine offene Kriegserklärung kommt hingegen vom Vizepräsidenten des Nordelbischen Kirchenamts, Gerd Heinrich: „Sollte der Kirchenvorstand der Paulus-Gemeinde wirklich beschlossen haben, Gottesdienste ausfallen zu lassen, dann wird der Beschluß wieder aufgehoben werden.“ Wer den Gottesdienst antaste, könne die Kirche dichtmachen. Heinrich: „Das kommt überhaupt nicht in Frage.“

Dabei suchen die Kirchenfürsten nach 15.000 Kirchenaustritten im vergangenen Jahr mittlerweile selbst nach unkonventionellen Alternativen, um die Gotteshäuser zu füllen. So sollen die Kirchen künftig mit Jazz-Musik und einem Kirchen-Cafe gefüllt werden. Bereits am 14. November startet in der St. Jacobi-Kirche der erste „Erlebnis-Gottesdienst“. Gemeinde-Feldwebel Klaus Kasch: „Niemand muß auf der Bank stillsitzen, statt dessen machen wir Jazz-Musik oder singen Gospels.“

Die Paulus-Pastoren wollen auch vor diesem Hintergrund an den Revolutionsplänen festhalten. Nach Aussage von Pastor Wolfram Stauffer soll das neue Konzept die Gemeindemitglieder zur Mitarbeit bewegen, so daß auf lange Sicht wieder mehr Gottesdienste abgehalten werden. Stauffer: „Wir sind sicher, in einigen Jahren wieder vier oder fünf Gottesdienste im Monat zu haben. Zunächst ist aber eine Zäsur nötig.“

An der Basis müssen die Revolutionäre allerdings noch viel Mobilisierungsarbeit leisten, sonst wird die Gemeinde heftigt mit Deserteuren zu kämpfen haben. Eine ältere Dame bei ihrem gestrigen Kirchengang zu den Plänen: „Sie haben die Aussage von der Bischöfin gehört, das ist die richtige Antwort.“ Ihre Begleiterin: „Ich hab jeden Sonntag ein Recht auf meinen Gottesdienst.“ Kai von Appen

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