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Der Senator persönlich enthüllte den „Wilhelm“

■ Schilderstreit im Bezirk Mitte geht weiter: Verwaltungsgericht muß entscheiden

Verkehrssenator Herwig Haase wollte seinen vorläufigen Sieg im Streit um die Rückbenennung der Otto-Grotewohl-Staße offensichtlich auskosten: Eigenhändig zupfte der Politiker am Freitag am Pariser Platz das Klebeband von einem Schild mit der Aufschrift „Wilhelmstraße“. Der peußische König ersetzt auf Anordnung des Senats als Namensgeber der Verkehrsachse im Bezirk Mitte seit dem 1.Oktober den ehemaligen DDR- Ministerpräsidenten.

Ob „Wilhelm“ zu einem dauerhaften Namensgeber der Straße zwischen Treuhandanstalt und Marschallbrücke wird, ist allerdings noch längst nicht ausgemacht. Denn gegen die Umbenennung hat ein Anwohner der Straße Klage eingereicht, und über die ist noch nicht entschieden (die taz berichtete). Unter Berufung auf den Hauptstadtvertrag hatte der Senat im Juli dem eigentlich zuständigen Bezirk Mitte das Verfahren entzogen und so einen seit zwei Jahren andauernden Entscheidungsprozeß brüsk beendet.

1991 hatte die Bezirksverordnetenversammlung nach turbulenter Diskussion mit knapper Mehrheit beschlossen, den Namen des ehemaligen DDR-Ministerpräsidenten Grotewohl abzuhängen: „Toleranzstraße“ sollte die ehemalige Wilhelmstraße künftig heißen – ein Begriff, bei dem die meisten Französischsprechenden an ein „Rotlichtviertel“ denken müssen. Aber der Name war ein Kompromißvorschlag der DDR-Bürgerbewegten in der BVV gewesen. Eine Klage vor dem Verwaltungsgericht allerding hinderte den Bezirk, den Beschluß umzusetzen. So diskutierte die BVV im Dezember 1992 erneut über den Straßennamen. Der Tod Willy Brandts lag damals gerade zwei Monate zurück, eine Mehrheit votierte für den ehemaligen Regierenden Bürgermeister, Kanzler und SPD-Chef als Namensgeber. Allerdings bestimmt das Straßengesetz, daß fünf Jahre nach dem Tod eines Menschen vergehen müssen, bevor sein Name auf Straßenschildern prangen darf. Zudem wollte Brandts Witwe lieber eine Straße im künftigen Regierungsviertel.

Im Juli 1993 dann machte der Senat erstmals von der Machtfülle Gebrauch, die der Hauptstadtvertrag ihm gegenüber den Bezirken einräumt und setzte sich über die vorliegenden BVV-Beschlüsse hinweg. Heute sollen die Verwaltungsrichter darüber beraten, ob dieser Schritt rechtens war. taz

Siehe Kommentar auf Seite 21

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