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„Ich lasse mir keinen Maulkorb verpassen“

■ Wie der Oberstaatsanwalt Rüdiger Bagger „Jugendpolitik“ macht: „Hart durchgreifen“

Der Jugendbehörde ist er schon lange ein Dorn im Auge. Seit Jahren macht Rüdiger Bagger als Sprecher der Hamburger Staatsanwaltschaft Stimmung gegen die Hamburger Jugendpolitik. Immer wieder startete der Oberstaatsanwalt öffentlich massive Angriffe gegen das Konzept der offenen Jugendhilfe (“Menschen statt Mauern“), machte Stimmung für die „fluchtsichere“ Unterbringung der straffällig gewordenen „Crash-Kids“ in geschlossenen Heimen.

So bedauerte er er gegenüber einer Hamburger Tageszeitung im Januar 1992, daß es außer der Untersuchungshaft keine andere Möglichkeit gebe, straffällig gewordene Crash-Kids sicher unterzubringen. Bagger damals: „Die Staatsanwaltschaft fühlt sich in ihrer Meinung bestätigt, daß in solchen Extremfällen auch bei jugendlichen Tätern hart durchgegriffen werden muß.“ In einer Diskussionsveranstaltung forderte er: „Wenn es keine Handhabe gibt, die Kinder an den lebensgefährlichen Ausflügen zu hindern, müssen wir sie schaffen.“

Auch im Radio nahm Bagger die Jugendpolitik aufs Korn. Bei Radio Hamburg erklärte er Anfang 1992: Die Betreuung der Jugendlichen sei „nicht so, wie sei sein sollte“, viele Jugendwohnungen würden „sich in einem Zustand befinden“, daß einem „die Haare zu Berge stehen“.

Daß Bagger sich mit seinen Äußerungen allzu weit vorgewagt hatte, bekam er bald zu spüren. Nach Informationen der taz wurde der Oberstaatsanwalt auf Intervention der Jugendbehörde von seinen Vorgesetzen der Kopf gewaschen. Unmißverständlich wurde ihm klar gemacht, daß er als Sprachrohr der Staatsanwaltschaft nicht fortwährend gegen bestehende Bürgerschaftsbeschlüsse agitieren könne, durch die 1981 die geschlossenen Heim-Unterbringung auch von straffällig gewordenen Kindern abgeschafft wurde.

Der Hamburger Erziehungswissenschaftler Peter Struck, mit Bagger gut bekannt, erklärte bereits im Sommer des vergangenen Jahres: „Bagger hat mir berichtet, ihm sei ein Maulkorb verpaßt worden“. Bagger aber gab sich uneinsichtig, erklärte im August 1992 gegenüber der „Welt“: „Mir kann niemand einen Maulkorb verpassen“. An der „Einspruch“-Sendung, mit der die Schlamm-Schlacht gegen den GALier Peter Mecklenburg eröffnet wurde, nahm Bagger als Talk-Partner nur deswegen nicht teil, weil sein Chef dies nicht für sinnvoll hielt. Seine Ankündigung, sich keinen Maulkorb verpassen zu lassen aber, so belegen die der taz vorliegenden Informationen, hat Rüdiger Bagger in die Tat umgesetzt.

Marco Carini

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