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Der Corpsgeist muß ausgerottet werden

■ Warum ist es so schwierig, Polizeibeamten eine Körperverletzung im Amt nachzuweisen? / Dazu ein Interview mit dem Ex-Vorsitzenden der Berliner Strafverteidiger-Vereinigung, Hans-Joachim Ehrig

Am vergangenen Freitag wurden zehn Polizisten mangels Beweisen freigesprochen, eine junge Frau in einem Polizeifahrzeug schwer mißhandelt zu haben. Der Prozeßausgang ist kein Einzelfall. Die Schläger in Polizeiuniform können sich vollkommen sicher fühlen. Laut Polizeistatistik waren im vergangenen Jahr 591 Verfahren wegen Körperverletzung im Amt gegen Polizisten anhängig. 97 Prozent der Verfahren wurden eingestellt. Von den 22 Fällen, die zur Anklage kamen, endeten alle mit Freispruch. Dazu ein Gespräch mit dem früheren Vorsitzenden der Vereinigung Berliner Strafverteidiger, Hans-Joachim Ehrig.

taz: Warum wird so gut wie kein Polizist der Körperverletzung überführt?

Hans-Jochim Ehrig: Das Hauptproblem ist, daß in der Regel keine unbeteiligten Zeugen zur Verfügung stehen. Denn meist ist der betroffene Bürger sowohl im Polizeifahrzeug als auch auf dem Revier mit einer Vielzahl von Polizisten allein. Die Täter in den Reihen der Polizei können sich auf das Schweigen ihrer Kollegen verlassen. Der entscheidene Grund dafür ist der seit Wilhelms Zeiten immer noch nicht ausgerottete Corpsgeist in der Polizei. Nach meiner Erfahrung, die sich mit der vieler Kollegen deckt, wird ein Großteil von Polizeiübergriffen nicht einmal angezeigt, weil man als Anwalt davon abrät, wenn keine objektiven Beweismittel hinzukommen. Das heißt, die Dunkelziffer ist um ein Vielfaches höher als die tatsächlichen Ermittlungsverfahren.

Wie könnte der Corpsgeist ausgerottet werden?

Die innere Kontrolle und der demokratische Geist in der Polizei müssen gestärkt werden. Die anständigen und vernünftigen Polizeibeamten müßten doch selbst ein Interesse daran haben, daß es nicht zu solchen Übergriffen kommt und damit das Ansehen der Polizei geschädigt wird. Das ist sicher ein langwieriger gesellschaftlicher Prozeß. Aber es gibt ein ermutigendes Zeichen: In Zusammenarbeit mit dem Schwulen-Beauftragten der Polizei gibt es inzwischen Polizeibeamte, die sich offen als schwul bekennen und in diesem Bereich Öffentlichkeitsarbeit machen.

Sie fordern also einen Polizeibeauftragten, an den sich all die Beamten vertrauensvoll wenden können, die Schläger in ihren Reihen nicht mehr decken wollen?

Ja. Der Beauftragte müßte die gleichen Rechte wie ein Untersuchungsausschuß haben: Zeugen vorladen, Akten einsehen und auf innerpolizeiliche Veränderungen drängen, wenn er die Mißstände aufgedeckt hat. Außerdem muß in der Polizeiausbildung gelehrt werden, bei Übergriffen nicht wegzusehen oder gar zu vertuschen und sich in jedem Fall als Zeuge zur Verfügung zu stellen. Die Vereinigung Berliner Strafverteidiger hat diesen Vorschlag schon vor längerer Zeit in die Debatte gebracht.

Müßte nicht auch die Ermittlungspraxis geändert werden? Schließlich ermitteln hier Polizisten gegen Polizisten und sind somit befangen.

Ich sage dazu immer: Ein Polizeiübergriff, der aufgeklärt wird, stärkt das Vertrauen der Bevölkerung in die Polizei. Hier trägt die Staatsanwaltschaft, die Herrin des Ermittlungsverfahrens, die Verantwortung. Sie muß die Aufsicht sehr viel enger ausüben und die entscheidenden Ermittlungsschritte selbst durchführen.

Finden Sie es richtig, daß ein der Körperverletzung im Amt verdächtigter Polizist während des Verfahrens ganz normal im Dienst bleibt?

Das mindeste wäre, daß er aus dem Bereich, in dem der Übergriff passiert ist, versetzt wird. Bei der Vielzahl von Anzeigen würde eine generelle Suspendierung möglicherweise zu Personalproblemen führen.

Was empfinden Sie bei dem Gedanken, daß die kürzlich freigesprochenen zehn Polizisten nun wieder fröhlich zusammen in ihrer Wanne durch Berlin kutschieren?

Der Freispruch kann für alle Beamten nur eine Ermunterung sein, so weiterzumachen wie bisher, nach dem Motto: Letztendlich kann uns keener, nachgewiesen wird uns sowieso nichts. Deswegen bleibt bei diesem Prozeßausgang ein starkes Unbehagen. Soweit ich gelesen habe, hatte auch die Richterin ganz erhebliche Bauchschmerzen bei diesem Urteil. Interview: Plutonia Plarre

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