Das Kleid des Zeitgeists

Barbara Vinkens Betrachtungen über die „Mode nach der Mode“, die ihrer Meinung nach am Ende des 20. Jahrhunderts geworden ist, was die Kunst hätte sein sollen: Die Darstellung des Zeitgeists  ■ Von Brigitte Werneburg

In Wim Wenders' Film „On Cities and Clothes“ (1990) ist der Held der Kleider Yohji Yamamoto. Die von ihm geschaffene Mode ist so gut wie nicht zu sehen. Wenders besichtigt lieber das in Hingabe an die Aufgabe des Zuschneidens versunkene Gesicht des Meisters; er schwelgt in Genieästhetik und beschwört nostalgisch männliche Autorschaft. Ganz offensichtlich findet Wenders sich in Yamamoto wieder – in dessen Klamotten allerdings nur. Sein narzißtischer Romantizismus verfehlt die Geisteshaltung von Yamamotos „Mode nach der Mode“ – und verfällt Barbara Vinkens barscher Kritik, die unter diesem Titel „Kleid und Zeitgeist am Ende des 20. Jahrhunderts“ bedenkt.

Die Mode nach der Mode thematisiert nicht mehr den auteur und créateur der Mode, sondern die Bedingungen der Mode selbst. Sie ist keine Antimode, keine Angelegenheit einer Künstler-Avantgarde im Sinne der Moderne. Die Mode kommt nicht von ihr, sie kommt zu ihr. Von der Straße, den ball rooms der New Yorker drag queens, dem Trash der Subkulturen. Vom Konsumenten mehr als vom Produzenten.

Barbara Vinken, als Herausgeberin des Theoriebands „Dekonstruktiver Feminismus“ bekannt, ist in ihrer Modestudie durchaus theorielastig – was den Unterhaltungs- und Informationswert nicht schmälert. Eher nebenbei wird die Modesoziologie bis Roland Barthes einer Revision unterzogen. Die abstrakte Kurzfassung der 170 Seiten über Theorie und Praxis der neuen Mode: Das System der Mode reflektiert zuerst die Differenz (und nicht die Einheit) für ihre Selbstreferenz.

Die Einheit und Identität der Mode fand sich einmal in der haute couture. Mode war haute couture – und nichts sonst. Vinken spricht von der mode de cent ans, die 1858 mit Frederick Worth begann, der die Mode vom Handwerk zur Kunst emanzipierte. 1981 setzte ihr das spektakuläre Défilé von Comme des Garçons in Paris ein Ende. Wie der Name sagt, steckte eine Frau dahinter: Die Japanerin Rei Kawakubo.

Über das Ende der Mode ließe sich mit Vinken streiten. Eher war es Vivienne Westwood, die in London Mitte der siebziger Jahre die Mode nach der Mode groß machte und es gar nicht nötig hatte, noch nach Paris zu gehen. Westwoods Modepraxis streift Vinken im zweiten Teil ihrer Ausführungen nur im Vorübergehen: einer der wenigen Minuspunkte ihres Buches.

Die neue Mode verweist zwar weiterhin auf Individualität, allerdings nicht mehr im Zeichen authentischen Seins, sondern seinzersetzenden Scheins; nicht mehr, so Vinkens These, „im Zeichen männlicher Identität, sondern weiblicher Differenz“. Die Frau – als Resultat einiger intelligenter Kunstgriffe – destruiert der Dandy, der eine Wiedergeburt erfuhr: „Der einsame Star der neuen Mode aber ist der Transvestit.“ Seine bombastische Inszenierung der Rolle der Frau bezeichnet die paradoxe Identität der Mode nach der Mode. War die haute couture „ein Diskurs in Kleidern über Kleider“, so ist die Mode nach der Mode ein Diskurs in Befindlichkeiten über mögliche/unmögliche Kleider. Nichts ist natürlich, edel oder perfekt an dieser Mode, auch wenn nicht alles nur dem schlechten Geschmack und dem Kitsch frönt. Durchaus schön, elegant, einfach oder auch raffiniert zeigt sich der Schein der Mode.

In dreizehn Portraits von Modemachern wie Romeo Gigli, Dolce & Gabbana, Sybilla, Alaäa, Martin Margiela, Gaultier, Lagerfeld und Moschino sondiert Vinken des Scheins doch solides und mit Kunst geschneidertes Sein. Sie zeigt, wie einzelne Designer das Diktat der Mode verwerfen und das Modische in der Auseinandersetzung mit den Standards der haute couture thematisieren. So zitiert Lagerfeld die Tradition des Hauses Chanel im immer plakativeren Umgang mit dem Markenzeichen. Kein eigener Stil wird vorgeführt, sondern allzu Bekanntes defiliert über den Laufsteg: Populäre (Straßen-)Mode recycled – aber, bitteschön, chez Chanel.

Yamamoto zitiert die hohe Schneiderkunst, die er perfekt beherrscht, nur um sie in radikal antimimetischer Geste zu destruieren. Er schneidet den Stoff so zu, daß sich die Kraftfelder der einzelnen Bahnen gegenseitig blockieren. Das Kleid umschmeichelt nicht mehr den Körper, es stößt ihn ab. Gaultier befaßt sich bekanntermaßen mit dem Thema des guten Geschmacks. Statt Federn zieren schwarze Wollfäden das weibliche Dekolleté und evozieren „der Mode strengstes Tabu: Körperhaare.“

Vor allem aber zeigt Gaultier die Geschichte des Kostüms als die Geschichte der geschlechtlichen Prahlsucht beider Geschlechter. Ist dies erst einmal laut gesagt, ist die Sublimation des Geschlechts in der gesellschaftlichen Konstruktion der Frau – als elegantem Wesen von möglichst überirdischer Anmut und Grazie – nicht weniger vulgär als der Ausruf: „I Want To Be A Platinum Blonde“. Und der scheinbare, in Schwarz gewandete Puritanismus, der in drei und mehr Lagen asymmetrisch geschichteter Kleiderschläuche und -hüllen daherkommt, ist mitnichten einer: Comme des Garçons.

Barbara Vinken: „Mode nach der Mode. Kleid und Zeitgeist am Ende des 20. Jahrhunderts“. Fischer Taschenbuch, 1993, 170 S., 12,90 DM.