■ Fernsehen, wie es keiner mag: Motzer-Kolumne
Früher standen sie auf Marmeladeneimern im Londoner Hyde-Park herum, begafft, bekichert und zuweilen auch beklatscht von vorbeikommenden Passanten. Heute sieht man sie werktäglich auf RTL als krönenden Abschluß der Freak- Show „Explosiv“: Leute, die meinen, ihre täglichen Sorgen, Nöte und Problemchen müßten unbedingt einem größeren Publikum mitgeteilt werden. „Das find' ich scheiße“, dürfen sie seit Anfang Juli der TV-Gemeinde verkünden, mit todernster Miene angekündigt von Deutschlands Ikone des Spanner-Journalismus, Barbara Eligmann.
Erst erscheint ein „Das find' ich scheiße“-Luftballon, bläht sich auf und platzt, dann können die Laienprediger zwischen 30 und 90 Sekunden gegen Auto- oder Radfahrer, gegen Hunde oder Meerschweinchen, gegen Busfahrer, Postboten oder das Wetter vom Leder ziehen.
Produziert werden die Spots von der Firma GWT (Gattermann, Wiepking, Tyszkiewicz), einer noch ganz jungen Gesellschaft in Hamburg. „Das find' ich scheiße“ ist ihr bisher einziges Produkt, „wir führen aber Gespräche“, sagt Krzysztof Tyszkiewicz im branchenüblichen Nebulös-Sprech. Über den Erfolg ihres TV-Einstiegs seien sie selbst erstaunt, sagt T., „manchmal ist es schwierig, geeignete Leute zu bekommen. Aber die meisten freuen sich, wenn wir sie ansprechen.“ Laut T. reisen die GWT-Mitarbeiter durch die Republik und sammeln sich die Leute in Kaufhäusern, Fußgängerzonen und Bushaltestellen zusammen. Ganze Städte wurden auf diese Art schon nach nölwilligen Bürgern abgegrast. Mittlerweile bewerben sich aber auch schon Freiwillige direkt bei RTL, um sich via TV mal so richtig wichtig zu machen. Dennoch müssen hin und wieder Freunde und Bekannte von G., W. oder T. ran, nur Mitarbeiter seien ausgeschlossen, betont T. Der Rest geht dann ganz fix und wird im Block abgedreht, zwölf Spots in zwei Tagen. Aufwandsentschädigung für die Motzkis: je 200 Mark.
Die exhibitionistische TV- Kolumne habe vor allem einen „psychologischen Effekt“, meint T., „viele Zuschauer finden sich selbst in den Beiträgen wieder und wollen dann Kontakt zu den entsprechenden Leuten aufnehmen.“ Etwa ein Dutzend Leidensgenossen würden der Firma wöchentlich schreiben und um Vermittlung zwecks Austausch ähnlich gelagerter Problemstellungen bitten. Alles würde man aber nicht über den Sender jagen, erklärte T., „irgendwo haben wir eine moralische Grenze.“ Die schließe von vorneherein Rassismus, Radikalismus und andere Diskriminierungen aus, weshalb zum Beispiel auch der Beitrag einer 25jährigen im Papierkorb landete: die junge Frau wollte sich ihren Haß auf kleine Kinder von der Seele reden.
GWT versuchen „Ärgernisse im Randbereich“ zu finden, „Themen, die wirklich ernst sind, wie zum Beispiel der Krieg in Jugoslawien, sind nichts für uns.“ Und manchmal wollen sie sogar ein bißchen lustig sein. So sind dann wohl auch jene Entgleiser zu verstehen, in denen sich künstlich wütend wirkende Jünglinge über unrasierte Frauenbeine und wucherndes Achselhaar auslassen. Oder Hausfrauen, die sich halbherzig über die Pingeligkeit des Ehemanns aufregen. Oder ältere Damen, die sich über leichtbekleidete Urlauber ihrer Altersklasse ereifern. Das wirkt zuweilen, als würden GWT permanent Freunde und Verwandte vor die Kamera zerren, die dann mühsam versuchen, sich über Blödsinn in Rage zu reden. Nicht, daß uns das ärgert – wir finden's einfach nur scheiße. Sabine Wagner
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen