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Im Blut-Skandal rollen die Köpfe

■ HIV-Infektionen durch Blutkonserven verdunkelt / Seehofer entließ drei Beamte

Berlin (taz/AP/dpa) – Der seit der Contergan-Affäre größte deutsche Pharmaskandal hat gestern in Bonn dramatische Konsequenzen gezeitigt. Bundesgesundheitsminister Horst Seehofer (CSU) kündigte an, daß der Präsident des Bundesgesundheitsamtes, BGA, Dieter Großklaus, und der Leiter der Gesundheitsabteilung im Ministerium, Manfred Steinbach, in den Ruhestand versetzt werden.

Das BGA hatte, wie Seehofer jetzt bekanntgab, jahrelang insgesamt 373 Verdachtsfälle von HIV-Infektionen durch Blut und Blutprodukte verschwiegen. Die Verdachtsfälle waren zum Teil schon vor dem Jahr 1985 dem Berliner Amt bekanntgeworden und dort unter der Decke gehalten worden. Das bedeutet, daß das BGA sehr viel früher als bislang vermutet über eine große Zahl von möglichen HIV- Fällen durch verseuchte Blutprodukte unterrichtet war. Daraus ergibt sich eine völlig andere Beurteilung der Risikolage zur damaligen Zeit.

Das BGA hatte, wie Kritiker seit langem monieren, erst im Oktober 1985 durchgesetzt, daß Blutprodukte auf HIV getestet werden. In der Zeit zuvor wurde nichts unternommen, um die Blutprodukte zu inaktivieren, ihren Einsatz zu beschränken oder wenigstens die Öffentlichkeit zu warnen. Dies hätte aber geschehen müssen, zumal offenbar eine Vielzahl von Verdachtsfällen bereits bekannt waren.

Über die bislang unbekannten Verdachtsfälle will Seehofer den Gesundheitsausschuß des Bundestages in einer Sondersitzung an diesem Freitag unterrichten. Dienstrechtliche Maßnahmen kündigte der Minister gegen den Leiter des BGA- Instituts für Arzneimittel, Prof. Alfred Hildebrandt und seinen Mitarbeiter Gottfried Kreuz sowie Prof. Meinrad Koch, Chef des Aids-Zentrums des BGA in Berlin.

Die personellen Konsequenzen sind Folge einer zweitägigen Klausurtagung, zu der Seehofer führende BGA-Beamte nach Bonn beordert hatte. Seit Anfang September hatte er sich nach eigenen Angaben darüber geärgert, daß er von wichtigen Vorgängen im Bereich der HIV-Infektionen durch Blut oder Blutprodukte nur aus der Presse erfuhr. Erst in der Nacht zum Mittwoch habe Hildebrandt die Liste von 373 Verdachtsfällen unterbreitet.

Seehofer hatte sich bisher stets hinter das Bundesgesundheitsamt gestellt und die immer heftiger werdende Kritik an dem „Medizin-GAU“ der HIV-infizierten Blutpräparate zurückgewiesen. Weder beim BGA noch in seinem Ministerium habe es irgendein Fehlverhalten gegeben, hatte Seehofer noch im August dieses Jahres erklärt. In einer Bundestagsdebatte hatte er sogar noch am 23. September den Kritikern aus den Reihen der Opposition zugerufen: „Wer behauptet, es habe Versäumnisse gegeben, es seien Dinge verschwiegen worden, der soll dies konkret belegen. Bis heute ist dies nicht geschehen. Außer pauschalen Behauptungen nur heiße Luft.“

Bislang haben sich in der Bundesrepublik vermutlich mehr als 2.000 Empfänger von Blut und Blutprodukten mit dem Aids-Virus HIV angesteckt. Angemessene Renten- und Entschädigungszahlungen wurden bisher nicht geleistet. Der Vorsitzende der Interessengemeinschaft Haemophiler hat im August Klage gegen die Bundesregierung erhoben. man

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