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Unter Rädern Von Claudia Kohlhase

Wenn man mit der Zeit gehen will, muß man noch lange nicht zu Fuß laufen. Nein, man darf durchaus fahren dabei. Allerdings nur, wenn es sich bei dem Fahrzeug um ein Fahrrad handelt. Und auch hier nicht um irgendeines oder eine Gurke, sondern um was Richtiges mit 37 Gängen, Spurverbreiterung, Gelsattel, Halogenstrahlern, Schutzblechspoiler und mindestens in Schwarzgrün, Schwarzblau, Schwarzrot oder Schwarzschwarz.

Im Fahrradladen hängt alles enorm vorrätig von der Decke, so daß man vor lauter Speichen keine Räder mehr sieht, geschweige denn die gravierenden Unterschiede. Dabei ist das Gravierende das Wichtigste! Streng genommen hängt hier eigentlich nur Gravierendes. Und wehe dem, der denkt, das sieht doch alles gleich aus, oder mehr als flottes Rollen täte gar nicht nötig. Denn schon ist der Verkäufer zwischen den Laufwerken verschwunden, und man sieht ihn von dahinter auf hochgelegte Tretlager, tiefgelegte Kugellager, eingelegte Seilzüge und angewandte Handkurbelschaltung verweisen, wobei seine Augen durch die Speichen leuchten wie Rückstrahler. Und schon stemmt er eins vom Haken, das hat zusätzlich noch einen horizontal verschiebbaren Sattel, einen senkrecht versenkbaren Lenker und quasi im Schritt die Halterung für die professionelle Nuckelflasche in der gehobenen Blechausführung.

Und das alles nur für mich, möchtest du denken und dich gering fühlen, was stimmt. Denn oben unter der Decke hängt ja natürlich noch das Spezialrad für Kopfsteinpflaster, das Spezialrad für hohe Berge, das Spezialrad für tiefe Täler, das Spezialrad für lange Straßen, das Spezialrad für Ufer-, Um-, und Seitenwege, das Niederflurrad für Fußgängerzonen mit eingebauter Passantenmachete und so weiter und so weiter.

Ja, da muß man verbittert zur Kenntnis nehmen, wie unspeziell man im Grunde ist und außerdem auch noch kleinwüchsig, so daß die Pedalen nicht zu einem hochreichen, obwohl der Sattel schon kneift. Ach, gnadenlose Selbsterkenntnis: Denn auch rein anatomisch ist man unglücklich angelegt, weil das Steißbein beim rechtwinkligen Vornüberbeugen gerne aus der Pfanne springt und der Daumen einen zu wenig abgespreizten Neigungswinkel hat, um die ultramoderne Klingel hinten unter dem Lenker zu erreichen.

Trotz alledem bleibt wie ein Wunder oder eine Stecknadel im Heuhaufen ein einziges von allen hundert Fahrrädern übrig, das zur Not zu dir paßt. Und du fährst ein Proberündchen, bimmelst ein wenig zum Spaß und vor Glück, weil dein Daumen die Klingel erreicht und die Zehen Pedalberührung haben, und zahlst am Ende erschöpft, aber dankbar den sagenhaften Preis.

Dann schiebst du es feierlich nach Hause, wo es nachts mit dir ins Bett und tagsüber ins Wohnzimmer darf. Manchmal fährst du ein Ründchen um den Block, damit alle sehen, wie schnittig du vorankommst im Leben. Aber nicht zu lange, damit sich dein Fahrrad nicht überanstrengt. Nach drei Wochen wird es dir im Tiefschlaf gestohlen.

Am andern Morgen wachst du auf wie aus einem viel zu langen Traum und merkwürdig erleichtert. Und holst dir für 20 Mark eine Gurke vom Flohmarkt, die sich mit dir garniert, als wärst du ein Sträußchen Dill oder eine Silberzwiebel.

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