: „Wir konnten mit dieser Macht nicht richtig umgehen“
Aus dem Innenleben der Treuhandanstalt: Die Privatisierer durften nach eigenem Ermessen handeln. Bei Erfolg winkte eine Geldprämie ■ Von Dieter Kampe
Die Treuhand gliederte ihr Privatisierungsgeschäft in vier große Arbeitsschritte: Angebote einholen, Bewerber prüfen, den Interessenten mit dem besten Konzept auswählen, Verkauf besiegeln.
Nicht um jeden Betrieb rauften sich mehrere Interessenten. Oft mußten die Treuhand-Manager von sich aus aktiv werden und einen größeren Bieterkreis erschließen, indem sie weltweite Ausschreibungen organisierten, Kataloge über die zu verkaufenden Firmen in Umlauf brachten, auf Messen auftraten oder bei möglichen Interessenten sogar persönlich vorstellig wurden, um ihre Ware anzupreisen. „Meistens haben wir aber einfach mit denen verhandelt, die schon bei uns im Flur standen“, korrigierte ein Treuhand-Privatisierer den Mythos von den genialen Verkäufern in Treuhand-Diensten. „Aktives Marketing war eigentlich doch eher die Ausnahme. Nur bei den großen Fällen, die auch publicity- trächtig waren, hat man Investment-Banker und Agenturen eingeschaltet. Die Regel war, daß wir mit denen sprachen, die sich selbst gemeldet haben.“
Zur Verzweiflung trieb viele Westunternehmer die Treuhand- Regelung, derzufolge Nachzügler jederzeit in eine laufende Ausschreibung einsteigen konnten, ja sogar nach Ende der Ausschreibung mit einem neuen Angebot auftreten und damit die Wiederholung des gesamten Ausschreibungsprozesses bewirken konnten. Einem mittelständischen Möbelhersteller aus Westfalen, der bereits zweimal den Konkurrentenwettlauf um eine Ostfirma gewonnen hatte, erklären zu müssen, daß er trotzdem nicht den Zuschlag bekomme, weil überraschend ein neuer, vielversprechender Interessent aufgetaucht sei und die Treuhand deshalb die Ausschreibung (zum dritten Mal) neu starte, war sicher kein einfaches Geschäft.
Aber die Treuhand bestand darauf, daß nach ihren Regeln verkauft wurde – und die sahen nun einmal vor, daß im Interesse eines möglichst hohen Verkaufspreises der Kreis der Interessenten bis zum Schluß offen blieb. Der westfälische Möbelhersteller fühlte sich natürlich ausgetrickst, als er in der dritten Runde plötzlich nicht mehr als Sieger durchs Ziel ging. Alle seine Mühen waren umsonst gewesen. Der Vorwurf der Schiebung fiel dann schnell.
Der Verdacht lag einfach nahe. Alle Kaufinteressenten mußten Unternehmenskonzepte vorlegen, das heißt, sie mußten der Treuhand schildern, was sie mit dem Betrieb machen wollten, wieviel Geld sie zu investieren beabsichtigten, wieviel Arbeitsplätze erhalten werden sollten – und warum der Investor glaubte, den Betrieb erhalten und profitabel führen zu können. Auf diese Unternehmenskonzepte waren die einzelnen Kaufinteressenten natürlich sehr stolz, denn sie enthielten ihr gesamtes berufliches Know-how, waren aufgebaut auf ihrer Branchenkenntnis, ihren Geschäftskontakten, ihrem Wissen um gewinnträchtige Märkte. Der dort schriftlich niedergelegte und ausführlich erklärte „Trick“, wie aus einem maroden Ostbetrieb ein Gewinne erwirtschaftendes Unternehmen zu machen ist, sollte natürlich geheim bleiben. Diese sehr intimen Firmeninformationen mochte niemand gern in den Händen der Konkurrenz oder von Mitbewerbern sehen.
Wenn der westfälische Möbeltischler aber feststellen mußte, daß unmittelbar nachdem er seine Geheimnisse der Treuhand offenbart hatte, plötzlich andere Interessenten aus dem Nichts auftauchten (vor Ort, in dem Ostbetrieb, den er oft besucht und inspiziert hatte, mit dem sogar schon eine Kooperation lief, hatte er nie jemanden gesehen) – was lag da näher als die Vermutung, ein Treuhand-Manager habe einem guten Freund einen Tip gegeben, daß da im Osten eine unentdeckte Goldgrube schlummere, die man mit relativ geringem Aufwand in eine lukrative Mine umbauen könne?
Die Regel waren solche Kungeleien sicher nicht. Andererseits begünstigte der Ausschreibungsmodus derartige Mauscheleien. Nicht jeder Treuhand-Manager wird der Versuchung widerstanden haben.
Eine gut geführte Organisation ist bemüht, solche Versuchungen ihrer Mitarbeiter möglichst gering zu halten, indem sie konkrete Handlungsregeln vorgibt und auf Kontrollen und Überprüfungen der Arbeit hinweist. Bei der Treuhand war das anders. Zwar versuchte Wolf Schöde der Öffentlichkeit einzureden, es gebe „ausgefeilte Kontroll- und Überwachungsmechanismen bei der Treuhandanstalt“ (so in einem Leserbrief an die FAZ), aber die Wirklichkeit sah anders aus. Und das räumte die Treuhand auch ein – wenn sie mußte. In einer am 19.11.1992 von der Stabsstelle Recht der Treuhand-Zentrale gestellten Strafanzeige gegen Mitarbeiter der Niederlassung Halle erklärt die Treuhand den Stuttgarter Staatsanwälten, wie ihr Apparat funktioniert. Dort heißt es:
„Den Leitern der Niederlassungen der THA war für die Ausführung des operativen Geschäftes ein erheblicher Verantwortungsbereich und damit Ermessensspielraum eingeräumt.“
In mehreren Gesprächen mit Mitarbeitern von Treuhand-Niederlassungen hörte ich die Fortsetzung der oben zitierten Aussage: „Jeder Niederlassungsleiter wird sagen, daß seine unmittelbar Untergebenen, die Direktoren, einen erheblichen Ermessensspielraum hatten. Und die wiederum werden sagen, sie könnten sich schließlich nicht um alles kümmern, der Ermessensspielraum ihrer Abteilungsleiter sei sicherlich sehr groß.“ Am Ende hatte jeder Treuhand-Mitarbeiter einen erstaunlich großen Handlungsspielraum, innerhalb dessen er nach eigenem Gutdünken schalten und walten konnte.
Wie stark dabei politische und wirtschaftliche Grundsatzpositionen oder Überzeugungen das Handeln der einzelnen Akteure prägten, erklärte mir ein Rostocker Treuhand-Mitarbeiter: „Wir mußten uns weitgehend auf unsere Nase, unsere Intuition verlassen. Das Privatisierungshandbuch, das so eine Art Anwenderhandbuch für die Praxis sein sollte, das kam ja erst im Sommer 1992, als das meiste schon abgehakt war. Außerdem war das viel zu abstrakt. Deshalb hat jeder so privatisiert, wie er es für richtig hielt. Einige Kollegen haben zum Beispiel gar keinen Wert darauf gelegt, Arbeitsplatzgarantien in die Verträge reinzuschreiben. Das sei doch antimarktwirtschaftlich, haben die argumentiert. Irgendwie ist das nicht mal falsch, aber den Investor wird's besonders gefreut haben.“
Jeder Treuhand-Manager besaß, so das Ergebnis meiner Befragungen, eine enorme Bewertungs- Macht. Sie alle mußten Investoren einschätzen, ihre Unternehmenskonzepte begutachten. Dabei gaben nicht nur Zahlen den Ausschlag, sondern auch die Einschätzung, welche der vom Interessenten gemachten Angaben glaubhaft seien. „Mehr als Plausibilität konnte man eigentlich nicht prüfen“, gestand ein Berliner Privatisierer. „Wir guckten auf den Namen, schauten nach, ob irgendeine Bank dahinterstand, das war's dann meistens schon.“ Der Ermessensspielraum war folglich immens – und damit die Gefahr, daß einzelne Investoren sich bemühten, den für sie zuständigen Entscheidungsträger positiv zu beeinflussen. Denn hatten sie den untersten Sachbearbeiter einmal für sich eingenommen, hatten sie die Treuhand gewonnen.
„Die Treuhand-Manager der untersten Ebene besaßen eine enorme Macht“, erklärte mir ein Privatisierer aus dem Unternehmensbereich 4, „denn nur sie hatten den direkten Kontakt mit den Kaufinteressenten, nur sie kannten die Details. Alle anderen waren doch viel zu weit weg von den konkreten Fällen. Der kleine Privatisierer schrieb die Vorlagen. Da konnte er das Unternehmenskonzept eines Investors schönreden oder schlechtmachen, das lag allein in seiner Macht. Und je nach dem wie ich eine Vorlage geschrieben habe, bekam ich das Votum von oben, so, wie ich es haben wollte.“
Und die vielen bürokratischen Ebenen oberhalb des kleinen Privatisierers? Prüften die nicht? „Direktoren und Vorstände kannten das Tagesgeschäft doch gar nicht richtig. Wir haben in bestimmten Zeiten 400 bis 500 Firmen pro Monat privatisiert. Wer konnte da noch in die Details steigen? Ich hatte viele Möglichkeiten, meinem Lieblingsinvestor zum Erfolg, also zum Kauf zu verhelfen. Ich konnte die anderen schlecht behandeln, ihnen keine Termine geben oder Termine mehrmals platzen lassen, ich konnte sie einfach von bestimmten Informationen ausschließen. Das waren alles gängige und verzeihliche Sünden, da wurden niemals jemandem Vorwürfe gemacht. Das Argument ,Hektik‘ entschuldigte eigentlich alles. Deshalb verstanden die Direktoren gar nicht, was im Vorfeld schon selektiert worden war – und wie. Sauer waren natürlich die Investoren. Die tobten dann, wenn sie spürten, daß man sie auf Distanz hielt, daß sie irgendwie nicht zum Zuge kamen. Was ich da an Beleidigungen gehört habe. ,Sie Skinhead in Nadelstreifen‘, schrie einmal jemand unseren Abteilungsleiter an.“
Schwierigster Punkt aller Kaufverhandlungen war stets, die einzelnen Konditionen präzise abzustimmen. Zusagen zur Erhaltung von Arbeitsplätzen, Investitionsversprechen, die Beteiligung an der Beseitigung ökologischer Altlasten und der Kaufpreis ergaben zusammen ein Paket, das die Treuhand akzeptieren oder durchfallen lassen konnte. Beim Mix und der Gewichtung der einzelnen Konditionen hatten die Privatisierer erstaunlich freie Hand. Deshalb war nicht immer eindeutig nachzuvollziehen, warum ein Investor den Zuschlag bekam, obwohl doch ein anderer in mindestens zwei Punkten ein besseres Angebot gemacht hatte. Dann hieß es lapidar in der Treuhandanstalt: Der hatte aber insgesamt das bessere, glaubhaftere Konzept.
Bietet eine Organisation ihren Mitarbeitern derart viel Ermessenspielräume und Handlungsfreiheit wie die Treuhand ihren Privatisierern, hängt die Qualität der geleisteten Arbeit von zwei Dingen ab: von der Kontrolle einerseits und der Motivation oder dem Arbeitsethos der Mitarbeiter andererseits. Das Problem der unzureichenden Kontrolle habe ich bereits thematisiert. Wie nun stand es um die Motivation, die psychologische Ausrichtung der Treuhand-Manager?
„Man hat uns allen, die wir ja aus den unterschiedlichsten Berufen kamen und bei der Treuhand etwas ganz Neues anfingen, eines von Anfang an klar gemacht“, erzählte ein Treuhand-Manager. „Wir sollten privatisieren, privatisieren und nochmal privatisieren. Man erwartete, daß wir die Betriebe in unserem Bestand möglichst schnell losschlagen. Was zählte, war rasche Abarbeitung. Lob gab es dann noch, wenn man einen guten Kaufpreis rausgeschlagen hatte, und zwar ,cash auf die Kralle‘, nicht langfristig. Daß jemand für den besonders erfolgreichen Erhalt von Arbeitsplätzen gelobt wurde, habe ich nie erlebt.“
Ein anderer Privatisierer erzählte, sehr positiv sei vermerkt worden, wenn man „Entlassungen wegprivatisiert“ habe. „Das ging so: Ein Treuhand-Unternehmen müßte eigentlich einen erheblichen Teil der Belegschaft entlassen. Aber da es einen Interessenten gibt, mit dem man bereits die ersten Verhandlungsrunden durch hat, drückt der Privatisierer aufs Tempo.
Er macht einen unverschämt niedrigen Preis aus, so daß der Investor sofort zugreift. Im Kaufvertrag schreibt er dann nur einen kleinen Teil der noch bestehenden Arbeitsplätze fest, so daß der neue Besitzer als erstes die Belegschaft verringern kann, ohne daß er dafür eine Strafe zahlen muß. Der Vorteil: Die unschöne Aufgabe, Leute zu entlassen, zieht der Private durch, die Treuhand hat nichts mehr damit zu tun. Das galt dann als gelungene und vorbildliche Privatisierung.“
Damit nicht die geringsten Zweifel aufkamen, welche Art von Arbeit erwünscht war, installierte die Treuhand-Spitze noch ein Bonussystem: Je schneller einzelne Manager ihr Privatisierungsprogramm abschlossen, desto höher fiel die Prämie aus, die sie erhielten. „Mehrere zehntausend Mark pro Mann“ seien dabei „spielend rübergekommen“, berichtete ein Treuhand-Mitarbeiter.
Am Ende eines vertraulichen Hintergrundgespräches, bei dem viel Bier geflossen war, blickte mich der Treuhand-Manager, ein Mittzwanziger, der bei der Treuhand seinen ersten Job bekommen hatte und gleich 130.000 Mark verdiente, hilfesuchend an: „Sie müssen das auch verstehen, wir können doch mit dieser Macht gar nicht richtig umgehen.“ Und nach einer gedankenschweren Pause setzte er hinzu: „Eigentlich sind wir alle eine Kompetenzstufe zu hoch angesiedelt.“
Vorabdruck aus dem Buch „Wer uns kennenlernt, gewinnt uns lieb. Nachruf auf die Treuhand“ von Dieter Kampe. Das Buch erscheint im Rotbuch-Verlag (Preis 16.80 Mark), der Autor ist Redakteur beim Spiegel.
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