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Art-Deco-Tänzereien fürs EEZ

■ Die Vorstellung der Rotterdamse Dansacademie beim Danceport enttäuscht durch Zuckersüße

Manches erinnerte ein wenig ans Fersehballett oder eine Schlittschuh-Kür, dann wurde man der Voyeur einer Mars-Weibchen-Disco und zwischendrin entwickelten sich auch mal Momente differenzierter Spannung — der Gesamteindruck blieb allerdings eher enttäuschend. Die erste Vorstellung eines anderen europäischen Tanz-Produktionszentrums im Rahmen der neuen Kampnagel-Reihe Danceport galt der Rotterdamse Dansacademie. Repertoire bildete den Titel für sechs Arbeiten von jungen Choreografen der Schule, sowie früheren Abgängerinnen und einer Lehrerin.

Ähnlich wie es in Deutschland ja auch immer mehr der Fall ist, wo sich die Nachwuchsgeneration der Theatermacher zunehmend dem glatten Schein zuwendet, der niemand mehr wehtun soll, zeigten auch die Niederländer mehr das geschliffene, aller Diskursivität entledigte Tanztheater. Das überrascht deswegen so, weil die Benelux-Länder eigentlich immer als vorbildlich für sperriges, innovatives und pulsierendes Tanztheater galten, das sich um Inhalte und phantasievolle Bilder bemühte. Choreografen wie Wim Vandekeybus, Anne Theresa de Keersmakers oder Jan Fabre sorgten in Deutschland stets für mächtige Impulse. Dagegen blieb das Material, das die jungen Tanzakademiker ausbreiteten, ein meist hübsch anzusehendes aber schnell vergessenes Werk zwischen allen ernsthaften Sphären.

Den schmerzlichen Höhepunkt erlebten diese formalen Spielereien, als fünf Tänzerinnen in silbernen Anzügen kühl-laszive Figuren und Verdrehungen ertanzten, die wohl erotisch sein sollten. Zu hämmernd undynamischen Klavierschlägen entspannen sich Duette von der Grazie einer gymnastischen Turnstunde. Die nett-spannungslosen Knäul- und Dehnübungen wären als Art-Deco-Tänzereien im Elbe-Einkaufszentrum vielleicht passend gewesen.

Überzeugenderes fand sich in den Choreografien für das männliche Geschlecht. Die Enstehungsphantasien für fünf Phoenixe von Feri de Geus und das konzentrierte, erotische Männer-Duett von Jacqueline Knoops beleidigten immerhin den Geschmack des Ballett-Freundes nicht weiter mit Raumschiff-Orion-Gesellschafts-Tänzen. Auch das Pas de deux Haar Seinen von Anouk van Dijk streifte den latenten Edelkitsch, der eigentlich allen sechs Teilen an den Hacken hing, nur gelegentlich. Nicole Peisl und Mario Kubitzka gelang es über lange Strecken eine Beziehung mit Blicken und Bewegungen spannungsreich zu dramatisieren.

Die abschließende Choreografie der Dozentin der Dansacademie Hilke Diemer, die humorig und flott ohne jede Kulisse aber mit Musik von John Adams amerikanische Filmszenerie in die Halle 1 von Kampnagel brachte, entlockte dem Publikum abschließend doch noch einen heftigen Applaus. Doch insgesamt blieb der Eindruck zurück, daß die ewige Stilisierung-Seuche jetzt auch das restliche Europa ergriffen hat. Wie unheimlich schade.

Till Briegleb

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