Fakten und Zahlen

Wenn man versucht, die ökonomische Struktur des Hamburger Independent-Marktes zu untersuchen, so ist man mit sehr speziellen Problemen der Fluktuation und der Grauzonen konfrontiert. Beinahe monatlich gründen sich neue Plattenfirmen, die anfänglich oft mehr von Engagement als von Umsätzen leben. Daneben gibt es unzählige Firmengründungen, die nur zum Ziel haben, die Platte einer bestimmten Band zu veröffentlichen. Diese verschwinden danach wieder ebenso hurtig, wie viele andere erfolglose Anläufe. Liebhaberlabels mit mikroskopischen Umsätzen und sporadischen Veröffentlichungen, reine Lizenzverwerter ausländischer Gruppen und Briefkastenfirmen erschweren des weiteren den Überlick über das wirtschaftliche Geschehen im Independent-Bereich.

Doch selbst wenn man nur den Ausschnitt der bekanntesten Hamburger Indie-Labels betrachtet (die folgenden Ergebnisse beruhen auf den Daten von 13 Labels und den drei Hamburger Vertrieben EFA, INDIGO und EWM), stellt man Erstaunliches fest. So veröffentlichen diese Labels jährlich circa 130 Titel, während die Vertriebe im selben Zeitraum 1300 vertreiben. Alle unabhängigen Plattenfirmen sind auch mit den ortsansässigen Vertrieben verbunden, die circa 350.000 Platten (fast nur CDs) in die Läden des Landes bringen. Der gemeinsame Jahresumsatz aller beträgt 1993 circa 42 Millionen Mark.

Auch in anderen Bereichen zeigt sich, daß das Klischee vom Besessenen, der im Wohnzimmer seiner Eltern die tonalen Erzeugnisse seiner Freunde vertreibt, mit der Wirklichkeit des Indie-Marktes nichts mehr gemein hat. Durchschnittlich zwei Vollzeitkräfte arbeiten bei den Indies und die drei Vertriebe beschäftigen zusammen sogar 90 Angestellte. Natürlich gibt es auch noch jene Labels, die aus einem „Aktenschrank im Schlafzimmer“ bestehen und als ihre Zusatzaufgaben „Seelsorge und Freibier“ verstehen, aber geregelte Arbeitsverhältnisse in festen Büros sind die Regel. Auch Mitarbeit der Musiker ist die Ausnahme geworden. Nebeneinkünfte durch Mailorder, Tonstudios, Plattenläden oder Jobs als DJs und Journalisten leisten aber bei den meisten der mittelgroßen Labels noch Finanzhilfe.

Erfreulich ist außerdem, daß beinahe alle Labels ihre Bands auch bezahlen können (was nicht immer so war) und auch noch Management und Tour-Booking übernehmen.

Das Interesse an der Zusammenarbeit mit Major-Firmen ist im Indie-Bereich nur sporadisch vorhanden. Vor allem ist die überwiegende Meinung der Indies, daß Majors eh „keinen Schnall“ davon haben, was für sie wichtig ist. Obwohl die 1000er-Auflage für Independent-Gruppen immer noch die Regel ist, hat sich hier doch eine erstaunliche ökonomische Stabilität entwickelt. Daß gerade im Bezug auf die Gefahren des kommerziellen Ausverkaufs in der Indie-Szene nach wie vor große Differenzen herrschen, wird die Aufgabe des V.U.T. nicht leicht machen. tlb