: Und er bewegt sich doch
■ SPD-Landesvorstand entscheidet sich für Verhandlungen mit der GAL / Bürgermeister Voscherau mußte dazu überredet werden / Von Uli Exner
Drei Stunden Beratung im großen Kreis, eine Stunde Beratung im kleinen Kreis der vier Vorstandschefs, dann, gegen 19.45 Uhr war die Kuh endlich vom Eis. Die Hamburger SPD wird zunächst mit der GAL in Koalitionsverhandlungen eintreten und zwar mit Senatschef Henning Voscherau an der Spitze. Das entschied der 24-köpfige Landesvorstand gestern abend einmütig .
Zuvor hatte es in Hamburg mal wieder richtig gebrodelt. Allerdings nicht an der Basis, bei den kleinen Leuten, sondern im exklusiven Kreis der Polit-Funktionäre und professionellen Szene-Beobachtern.
Gerüchteküche, Gerüchteküche. Der NDR meldete schon frühmorgens, daß die Entscheidung längst gefallen sei: „Rotgrün, Voscherau samt rechter Unterstützer legen spätestens zum Wochenbeginn ihre Ämter nieder“, wurde an die Frühstückstische gefunkt. Dies habe sich nach den Sondierungsgesprächen mit der GAL in einem internen Gespräch der SPD-Führungskräfte deutlich abgezeichnet. Stimmt aber gar nicht. Das sei eher eine gezielt gestreute, „höchst unanständige“ Falschmeldung, um die Stimmung gegen Rotgrün noch einmal anzuheizen.
Erklärten jedenfalls Teilnehmer der abendlichen Sozi-Runde. Weder sei eine Vorentscheidung über den künftigen Verhandlungspartner gefallen noch sei von möglichen Rücktritten die Rede gewesen. Im Gegenteil. Die SPD-Führung zimmerte bis zum Beginn der Landesvorstandssitzung an einem für Rot-Statt- und Rot-Grünbefürworter tragbaren Kompromiß. „Daran arbeiten wir“.
Gesucht war der Beweis, daß die SPD wenigstens bei internen Konflikten „Kompetenz zur Krisenbewältigung“ hat. Und dieser Beweis, so ein Landesvorstandsmitglied, sei nicht mit knappsten Mehrheiten zu führen. So grübelten selbst hochrangige Sozi-Chargen, die noch vor einer Woche entschieden für Rot-Grün plädiert hatten, bis gestern mittag über der Frage, ob und wie ihr ehrgeiziges Projekt zu halten sei. Dagegen sprachen vor allem drei Gründe:
1. Daß ein rotgrünes Bündnis angesichts der anstehenden Probleme nur Erfolg haben könne, wenn sowohl SPD als auch GAL geschlossen hinter einer Koalition stehen. Was weder bei der SPD noch bei der GAL abzusehen ist.
2. Das verlockende Angebot der Statt-Partei, die beim zweiten Sondierungsgespräch der SPD soweit entgegengekommen war, daß einige Beobachter von einem „Blankoscheck“ sprechen.
3. Senatschef Voscherau sprach sich vor dem Landesvorstand für die Statt-Partei aus. Erst in einer Beratung mit Parteichef Frahm, Fraktionschef Elste und Vorstandsmitglied Helgrit Fischer-Menzel konnte der Bürgermeister zum Einlenken überredet werden. Voscherau wird die Verhandlungen führen, und erst an deren Ende, abhängig vom Ergebnis, entscheiden, ob er auch Bürgermeister einer rot-grünen Koalition werden will.
Obs dazu kommt? Die Grünen selbst jedenfalls hatte am Tag nach den Sondierungen ein ungutes Gefühl beschlichen. Und zwar in doppelter Hinsicht: Mit Blick auf die SPD fragte sich ein GAL-Sondierer, ob diese es sich überhaupt leisten könne, angesichts des durchaus nicht gesicherten Erfolges sowohl rotgrüner Verhandlungen als auch einer möglichen Koalition Wegners Offerte auszuschlagen.Mit Blick auf die eigene Partei fügte ein GAL-Kollege fragend hinzu, ob sich die eigene Partei es überhaupt leisten könne, angesichts der für die Einbindung des rechten Sozi-Flügels nötigen Zugeständnisse ein rotgrünes Bündnis einzugehen.
Dies wird sich ebenso wie die sogenannte Bürgermeisterfrage erst nach Parteitagen/Mitgliederversammlungen beider Parteien entscheiden, die voraussichtlich Ende Oktober zusammenkommen werden.
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