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„Die Medienwelt steht Kopf“

■ betr.: „Sozialarbeit oder Gesin nungsbildung?“, taz vom 4.10.93

Die Medienwelt steht Kopf. Auf allen Kanälen tönt es „Mißbrauch des Mißbrauchs“. Am Pranger stehen nicht etwa die Konsumenten der florierenden Kinderpornoindustrie oder Kindersextouristen, sondern Wildwasser, Emma und feministische Projekte.

Gerade als schwulenbewegter Mann habe ich erlebt, wie die Veröffentlichungen und Arbeitsergebnisse von Wildwasser und anderen Beratungsstellen auch vielen von uns langsam die Augen über die Dimensionen des sexuellen Mißbrauchs von Kindern geöffnet haben. Lange Zeit hatten wir in der Schwulenbewegung von „einvernehmlichen“ und „gleichberechtigten“ pädophilen Beziehungen gefaselt und über die strukturelle Asymmetrie der Erwachsenen- Kind-Beziehung hinwegschwadroniert. Mißbrauch betrifft nicht alleine Mädchen. Erste Veröffentlichungen u.a. von Gloyer und Schmiedeskampf-Böhler zu „Jungen als Opfer sexueller Gewalt“ haben eindringlich gezeigt, daß auch sexuelle Handlungen ohne Gewaltanwendungen zu tiefgreifenden Traumatisierungen führen können.

Bis Katharina Rutschky ihren Kreuzzug startete, schien es aber so, daß die Verharmloser und Beschwichtiger kaum noch öffentliche Beachtung fanden. Mit ihrer Rezension des Wildwassertätigkeitsberichtes setzt sie sich nun erneut als Prophetin der Backlash- Bewegung in Szene.

Sicher mag es Kritik an einzelnen Punkten der Beratungsarbeit geben. Aber nichts davon rechtfertigt oder erklärt den Schaum vor dem Mund, mit dem Frau Rutschky ihre Bannsprüche hinausschleudert. Ob gewollt oder nicht, hängen bleibt beim Publikum die fatale Botschaft: das sei ja alles gar nicht so wild mit dem sexuellen Mißbrauch. Für solcherlei Entwarnung besteht leider keinerlei Anlaß. Volker Beck, Köln

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