: „Der Schweigespirale entgegenwirken“
Studienzentrum Weikersheim als Scharnier zwischen reputierlichen Konservativen und Rechtsradikalen ■ Von Bernd Siegler
An der Romantischen Straße im Taubertal liegt das beschauliche Städtchen Weikersheim. Hauptattraktion des 7.000 Einwohner zählenden Ortes ist das prachtvolle Renaissanceschloß. Dort im Rittersaal versammeln sich Jahr für Jahr Konservative und ausgewiesene Rechtsextremisten, um über den moralischen Verfall der westlichen Zivilisation zu lamentieren. Sie plädieren für eine neue nationale Identität der Deutschen und wollen Deutschland endlich als Großmacht agieren sehen. Solch Treiben findet großzügige Unterstützung von der Bundesregierung. Mit knapp 400.000 DM aus verschiedenen Haushaltstöpfen wurden die Tagungen und Seminare der rechten Denkfabrik „Studienzentrum Weikersheim“ seit 1988 unterstützt.
1979 wurde das Studienzentrum mit Spenden aus der Industrie gegründet. Der ehemalige baden- württembergische Ministerpräsident Hans Filbinger, der 1978 wegen bekanntgewordener Todesurteile in seiner Zeit als Marinerichter zurücktreten mußte, wurde Präsident, der rechtskonservative Günter Rohrmoser, Philosophieprofessor an der Universität Stuttgart-Hohenheim, wurde Chefdenker und Albrecht Jebens, Autor in rechtsextremen Postillen wie Zeitenwende, Geschäftsführer des Studienzentrums. Sie hatten es sich zur Aufgabe gemacht, der „politisch, geistigen und moralischen Knochenerweichung“ (Rohrmoser) innerhalb der CDU den Garaus zu machen und den vermeintlich linken Mainstream in der bundesdeutschen Gesellschaft zu durchbrechen.
Innerhalb des Kuratoriums und als Referenten brachten sie honorige Persönlichkeiten aus Politik, Klerus und Militär mit Professoren zusammen, die in einschlägigen rechtsradikalen Kreisen verkehren. Das Studienzentrum Weikersheim dient damit als Scharnier zwischen Konservatismus und Rechtsextremismus, als Forum für Ideologen, für die sich bislang die Verfassungsschutzämter interessiert hatten.
„Wir versuchen seit langem der Schweigespirale entgegenzuwirken“, gestand Kuratoriumsmitglied Klaus Hornung, der für den rassistischen „Schutzbund für das deutsche Volk“ schreibt, in der rechtsextremen Postille Junge Freiheit. Neben Hornung sitzen einträchtig Ex-Arbeitgeberpräsident Otto Esser, Brigadegeneral Heinz Karst, der emeritierte Informatikprofessor Karl Steinbuch, der für Schönhubers „Republikaner“ warb, oder der erzkonservative Präsident der Katholischen Universität Eichstätt, Nikolaus Lobkowicz, im Kuratorium des Studienzentrums. Bis Mitte 1989 hatte auch Rolf Schlierer, heute zweiter Mann bei den Reps nach Schönhuber, seinen Platz in diesem erlauchten Gremium. Als dies bekannt wurde, mußte der damalige baden-württembergische Rep- Pressesprecher seinen Kuratoriumssessel räumen, um die Reputation des Studienzentrums nicht zu gefährden.
Neben dem umstrittenen Würzburger Professor Lothar Bossle, dem Kieler Professor Wolfgang Seiffert, der Ende 1983 zusammen mit Rep-Chef Schönhuber im kurzlebigen „Deutschland-Rat“ saß, oder dem Nationalrevolutionär Wolfgang Strauß („Der Nationalsozialismus ist die Idee und ein Organisationsprinzip des sich selbst befreienden Volkes“) lassen sich auch CDU/CSU-Fraktionsgeschäftsführer Wolfgang Schäuble, Baden-Württembergs Ministerpräsident Erwin Teufel oder der Chef der Berliner Senatskanzlei, Volker Kähne, gerne als Referenten in Weikersheim sehen. Sie verschaffen so, ob gewollt oder ungewollt, den ansonsten verpönten Männern Reputation.
Chefdenker Rohrmoser, der im rechtsradikalen Sinus-Verlag publiziert und für Burschenschaftsblätter sowie das einschlägig bekannte Magazin Mut schreibt, will die Union dahin bringen, daß sie die Frage der „nationalen und multikulturellen Zukunft der Deutschen“ zum zentralen Gegenstand zukünftiger Wahlkämpfe macht. Deutschland sei nun einmal „kein Einwanderungsland“. In den Weikersheimer Blättern (Auflage 1.500) empfiehlt er den Deutschen „die Rückkehr zu einem normalen Verhältnis zur Nation“.
In diesen Blättern werden nicht nur Bücher aus dem vom Verfassungsschutzbericht beobachteten Tübinger „Hohenrain- Verlag“ empfohlen. Hans-Ulrich Kopp, ehemaliger Chef des „Republikanischen Hochschulverbands“ und Aktivist der strammrechten Münchner Burschenschaft „Danubia“, findet darin ebenfalls ein Publikationsforum, wie der beliebte Weikersheim-Referent Wolfgang Strauß. Der sinniert bevorzugt über die „geistige Erneuerung Rußlands“ — und das nicht nur auf den Weikersheimer-Kongressen, sondern auch in seinem Haus-und-Hof-Organ. Zusammen mit Karl Richter, dem Chefredakteur der Deutschen Rundschau (Organ der „Deutschen Liga für Volk und Heimat“), sitzt Strauß in der Redaktion der in Coburg erscheinenden Zeitschrift Nation und Europa, laut Verfassungsschutz eines der führenden ideenpolitischen Organe des deutschen Rechtsextremismus.
Der letzte große Weikersheim- Kongreß im Mai zum Thema „Von der Parteiverdrossenheit zur Staatskrise?“ war dieser Publikation gleich vier Seiten wert. Über 600 Zuhörer fanden sich im Rittersaal ein, 150 „Deutsche aus Oberschlesien“ (Ostpreußenblatt) und gar eine Gruppe von Studenten aus Kroatien fanden den Weg nach Weikersheim. Neben der Brandt- Witwe Brigitte Seebacher-Brandt kam Wolfgang Seiffert zu Wort. Die Meinungsforscherin Elisabeth Noelle-Neumann beklagte unisono mit Eva Maria Föllmer von der Sekte „Verein für psychologische Menschenkenntnis“ den Werteverfall. Der Historiker Karl- Heinz Weißmann forderte eine „politische Pädagogik des nationalen Realismus“.
In die gleiche Kerbe hieb Rolf Stolz, immer noch Parteimitglied der Grünen. Er sprach vom „Raub der Heimat“, von „Überfremdung“ und von der „völligen Entmündigung der bald wie ein Kolonialvolk behandelten eingeborenen Deutschen“. Schließlich lamentierte Weikersheim-Chef Rohrmoser, daß „bei uns in Deutschland eine Weltideologie des liberalistischen Individualismus ohne jeglichen Wirklichkeitsbezug bis zu Tode gepflegt“ werde.
Neben solchen Jahreskongressen komplettieren die zusammen mit den Neckarwerken veranstalteten „Eßlinger Wirtschaftstagungen“ und Seminare der „Jungen Weikersheimer“ das Programm des Studienzentrums. Bei der Jugend stehen dann neben Strauß noch ganz andere als Referenten hoch im Kurs. Auf Burg Hohnstein in der Sächsischen Schweiz kam im März dieses Jahres neben Hornung und dem Grafen Huyn auch der Publizist Hans-Dietrich Sander zu Wort.
„Vor einem Jahr wäre ich von diesem Bildungswerk der württembergischen CDU wohl noch nicht um einen Vortrag ersucht wurden“, jubelt Sander in seinen Staatsbriefen, in denen der verstorbene Neonazi-Chef Michael Kühnen über die „Deutsche Reichsidee“ philosophieren durfte und derzeit das „Programm einer nationalen Notstandsregierung“ diskutiert wird. Wenig später referierte Sander bei der neonazistischen Wählervereinigung „Die Nationalen“ in Berlin.
Wider besseren Wissens sieht die Bundesregierung in der Antwort auf eine Anfrage der PDS- Bundestagsabgeordneten Ulla Jelpke „keine verfassungsschutzrelevanten Erkenntnisse“ über das Studienzentrum Weikersheim. Für die Schätzung des Anteils rechtsextremer Referenten beim Studienzentrum gebe es „keine Grundlage“, meint der Parlamentarische Innenstaatssekretär Eduard Lintner.
Kein Wunder also, daß insgesamt knapp 400.000 DM aus dem Bundeshaushalt dem Studienzentrum für dessen Aktivitäten zur „geistig-moralischen Erneuerung der deutschen Nation“ zuflossen. 80.000 DM brachte die Bundeszentrale für politische Bildung in den Jahren von 1988 bis 1993 auf, das Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen steuerte 1989 bis 1991 125.000 DM bei, und das Presse- und Informationsamt von 1989 bis 1993 gar 188.000 DM. Allein 48.000 DM war dem Presseamt die 2. Weikersheimer Hochschulwoche vom 25. September bis 2.0ktober dieses Jahres in Bad Brückenau wert.
Nur in einem Punkt der Anfrage sieht die Bundesregierung Handlungsbedarf: Sie wird den Zuwendungsempfänger um Aufklärung bitten, ob im Mai dieses Jahres im Arbeitskreis „Historische und politische Bindungen“ des Weikersheimer Jahreskongresses über die „Auschwitz-Lüge“ philosophiert worden ist.
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