■ Die Rede des bosnischen Präsidenten Alija Izetbegović vor der UNO-Generalversammlung am Donnerstag abend: Eine politische Vivisektion
Die internationale Staatengemeinschaft hat weder ein politisches Konzept noch einen klaren Handlungsplan für den Übergang von den kommunistischen Strukturen der letzten 50 Jahre zu Konzepten, die auf Freiheit und Demokratie basieren.
Doch wir sind überzeugt, daß sich ohne eine klare Haltung zu dem alles überragenden Problem des nachkommunistischen Erbes weder für globale noch für lokale Probleme eine Lösung finden läßt.
Die negativen Seiten dieses Problems sind am Beispiel meines Landes deutlich geworden. Hier haben sich die verbliebenen kommunistischen Aggressionspotentiale ausgetobt, und vor den Augen Europas, Amerikas und der ganzen Welt wurden die Chancen für eine demokratische Entwicklung zunichte gemacht – durch Massenmord an Zivilisten, die Zerstörung aller Grundlagen von Zivilisation und Kultur, die Auslöschung ganzer Völker und durch die barbarische Taktik der verbrannten Erde.
Parallel zu dieser beispiellosen Gewalt wird an unserem Land das Experiment einer politischen Vivisektion durchgeführt. Die internationale Staatengemeinschaft probiert an Bosnien-Herzegowina verschiedene Modelle für einen postkommunistischen Staat aus. Unglücklicherweise wird dieses Experiment am „lebenden Objekt“ durchgeführt. Als Folge davon sterben unsere Menschen, das Land und der Staat Bosnien-Herzegowina.
Das erste Experiment waren die Beschlüsse der Londoner Konferenz (vom 26. August 1992, d. Red.) mit der erklärten Zielsetzung, die Aggression zu beenden. Dieses Konzept wurde aufgegeben, ohne einen einzigen Versuch zu machen, es umzusetzen. Dadurch wurde der Krieg auf unserem Boden intensiviert. Mit dem Vance-Owen-Plan folgte dann der Versuch, durch eine verfassungsmäßige, rechtliche und politische Reform eine Lösung für die sich ständig verschärfende Krise zu finden. Doch auch die Umsetzung des Vance-Owen-Plans wurde von keiner Seite versucht. Er wurde fallengelassen und durch einen neuen Plan ersetzt (Owen-Stoltenberg- Plan, d. Red.). Dieser beruht auf der falschen These, daß in Bosnien-Herzegowina ein Bürgerkrieg zwischen drei Völkern stattfinde und daher die territoriale Dreiteilung des Landes die einzige Lösung sei. Doch dieser Plan soll nun umgesetzt werden unter Mißachtung der ethnischen Mehrheitsverhältnisse, wie sie vor Kriegsbeginn herrschten. Auch die grundlegende Zielsetzung, Frieden zu schaffen, wird bei der Umsetzung mißachtet. Als Konsequenz drohen die Fortsetzung der unkontrollierten Entwicklung und damit neues Leiden für die Menschen.
Das Volk von Bosnien-Herzegowina muß sich nun entscheiden zwischen einem gerechten Verteidigungskrieg und einem ungerechten Frieden. Bei Fortsetzung des Krieges drohen noch mehr Leiden für die Menschen, der Tod Tausender und die weitere Zerstörung des Landes.
Der ungerechte Friedensplan ist eine Fehlkonstruktion, denn er beruht auf dem abstoßenden und historisch gescheiterten Konzept der ethnischen Teilung und der Apartheid. Darüber hinaus ist die vorgesehene Aufteilung unfair, da der Aggressor auf Kosten des Opfers mehr Land erhalten soll.
Jeder Friedensplan, der auf ethnischer Aufteilung basiert und Völkermord legitimiert, trägt den Samen für Vergeltung und neue Gewalt in sich. Jeder Friedensplan, der an den eigentlichen Ursachen des Krieges vorbeigeht, wird allerhöchstens eine zeitweise Beruhigung bringen, nicht aber die Aussöhnung, die unerläßlich ist. Und schließlich wird jeder Friedensplan, der keine Basis bietet für einen überlebensfähigen bosnisch- muslimischen Staat, der nicht einmal die elementarsten Bedürfnisse der Opfer berücksichtigt und der nicht die notwendigen Maßnahmen enthält, um seine Umsetzung und seinen Bestand in der Zukunft zu gewährleisten, keinen wirklichen Frieden bringen.
Deshalb hat das bosnische Parlament in der letzten Woche eine endgültige Annahme des vorliegenden Friedensplans erneut an die Erfüllung folgender Minimalbedingungen für einen dauerhaften Frieden geknüpft:
1. Die bosnisch-muslimische Republik innerhalb der vorgeschlagenen „Union der Republiken Bosnien-Herzegowinas“ muß politisch, geographisch, wirtschaftlich und sicherheitspolitisch überlebensfähig sein.
2. Die Truppen des Aggressors müssen diejenigen Gebiete zurückgeben, deren Zivilbevölkerung sie ermordet oder vertrieben haben, damit die Menschen zurückkehren können. Weit über eine halbe Million Flüchtlinge würden nicht in ihre Dörfer und Städte zurückkehren, wenn die für Mord, Folter und Vergewaltigung verantwortlichen serbischen Truppen diese Gebiete weiterhin kontrollierten. Es wäre möglich, daß diese Gebiete für eine Übergangsphase durch internationale Streitkräfte verwaltet werden.
3. Der Friedensplan muß in seiner endgültigen Fassung umfassende und spezifische Garantien für seine Umsetzung enthalten. Und zwar Garantien der Staaten und regionalen Organisationen, die die Umsetzung des Plan tatsächlich durchführen werden. Diese Garantien müssen integraler Bestandteil des Friedenplans sein und können nicht auf ein Datum nach seiner Unterzeichnung verschoben werden. Ansonsten besteht die Gefahr, daß wir ein Abkommen absegnen, das – wie so viele zuvor – statt Frieden zu bringen lediglich den Aggressor legitimiert.
4. Falls die internationale Staatengemeinschaft bei der Durchsetzung des Friedensplanes versagt, muß uns die Bewaffnung und Selbstverteidigung erlaubt werden.
Ohne Erfüllung dieser Minimalforderungen sollte die internationale Staatengemeinschaft uns nicht unter Druck setzen, den vorliegenden Friedensplan zu akzeptieren.
Im Rahmen seiner Zuständigkeit und seiner Verantwortung, der er sich nicht entziehen kann, sollte der UNO-Sicherheitsrat den von Lord Owen und Thorvald Stoltenberg entworfenen Plan überprüfen auf seine Übereinstimmung mit der UNO-Charta und mit den bislang vom Sicherheitsrat verabschiedeten Bosnien-Resolutionen.
„Wir akzeptieren, was immer die drei Kriegsparteien unterzeichnen.“
Mit diesem von vielen Seiten zu hörenden Satz kann sich der UNO- Sicherheitsrat nicht einfach seiner Verantwortung entziehen – zumal wenn die Opfer des Krieges mit der Drohung zur Unterschrift gezwungen werden sollen, daß ansonsten der Völkermord fortgesetzt wird und Tausende verhungern würden.
Für die künftigen Verhandlungen über diese Fragen schlagen wir vor, daß den beiden Vermittlern von UNO und EG, die nach den bisherigen Plänen mit der Umsetzung des Friedensplanes beauftragt werden sollen, ein Vertreter der Nato zur Seite gestellt wird. Damit erhielten die Verhandlungen mehr Glaubwürdigkeit, Klarheit und Entschiedenheit.
Tragischerweise war das bisherige Engagement der UNO in Bosnien-Herzegowina durch Mangel an klarer Zielsetzung und festem Durchsetzungswillen gekennzeichnet.
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