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"Unsere Gruppe hat Parlament nachgespielt"

■ Die BürgerrechtlerInnen Ingrid Köppe, Wolfgang Ullmann und Konrad Weiß von der Gruppe Bündnis 90 / Die Grünen werden nicht mehr für den Bundestag kandidieren / Ihr Fazit nach drei Jahren ...

taz: Welche Vorstellung von Demokratie hatten Sie, als Sie vor drei Jahren nach Bonn kamen, und was haben Sie vorgefunden?

Ingrid Köppe: Wenn ich für mich Demokratie übersetze, gehe ich nach wie vor davon aus, daß Bürgerinnen und Bürger ihre Interessen selber wahrnehmen und sich nicht von Parteien vertreten lassen. Parteiendemokratie ist Pseudodemokratie, und die haben wir im Westen vorgefunden. Letztendlich ist die Politik auf ein paar Führungspersönlichkeiten beschränkt, auf Berufspolitiker. Die Parteien bemühen sich nicht einmal mehr, das Volk einzubeziehen, vielmehr stehen sie in der Gefahr, sich immer mehr zu verselbständigen.

Wolfgang Ullmann: Daß es hier in Bonn so viel Stagnation gibt, hätt' ich nicht gedacht. Da bin ich ziemlich ernüchtert. Ich habe hier mehr Kompetenz und mehr Leben vermutet.

Konrad Weiß: Die Parteien sind ausschließlich macht-, und nicht sachorientiert. Es ist nicht möglich, mit der CDU oder der SPD um einer vernünftigen Sache willen etwas gemeinsam zu machen. Es zählt nur die Partei- und Fraktionsdisziplin, die sich einen Dreck um das Grundgesetz schert, in dem es ja heißt: Jeder Abgeordnete ist unabhängig und allein seinem Gewissen verpflichtet.

Köppe: Warum hast du dann bei zwei Parteigründungen mitgemacht?

Weiß: Ich glaube, daß die Strukturen bei uns noch anders sind. Im Bündnis sowieso. Aber auch in der vereinigten Partei Bündnis 90/Die Grünen gibt es diese Betonierung nicht. Das mag in der nächsten Fraktion anders sein, ich befürchte das sogar, und das ist auch einer der Gründe, weshalb ich aussteige.

Wo wollen Sie sich einmischen, wenn es nicht möglich ist, sich im Parlament einzumischen?

Köppe: Ich habe immer gesagt, daß ich nur für eine Legislaturperiode nach Bonn gehen werde. Ich werde nach anderen Wegen suchen. Zu DDR-Zeiten war ich auch ein politischer Mensch, ohne in Gremien eingebunden zu sein.

Weiß: Ich kenne keine Alternative. Weder glaube ich an den einzelnen, ungebundenen Abgeordneten noch an ein Rätesystem. Im Prinzip halte ich die parlamentarische Demokratie für richtig. Ich denke, daß eine grundlegende Reformierung der Parteienstruktur notwendig ist, damit der Abgeordnete unabhängig und frei entscheiden kann. Es muß auch möglich sein, daß Abstimmungen quer durch die Fraktionen gehen.

Köppe: Ich finde es entlarvend, daß einer, der mal Bildungsminister war, genausogut Wirtschaftsminister sein kann. Hier kann sich jeder mit allem beschäftigen und kann auch über alles reden. Das allein ist schon ein Zeichen dafür, daß es an Kompetenz fehlt.

Weiß: Ich sehe das anders. Nicht nur Sachkompetenz ist gefragt, sondern vor allem Persönlichkeit. Die eigentlich wichtigen politischen Entscheidungen sind moralische. Da genügt es, eine Position zu haben. Das habe ich auch meinen Wählern versprochen. Ich habe gesagt: Ihr müßt mir vertrauen, daß ich in eurem Sinne so handle, wie ich es für richtig halte.

Den Ost-SPDlern, Herr Weiß, haben Sie nach der Wende mal vorgeworfen, sie wären besoffen von der Macht. Gab es bei Ihnen auch so etwas wie einen Rausch vom Erfolg, als Sie in Bonn eingezogen sind?

Köppe: Also, bei mir nicht. Die ersten Tage war ich nur gespannt, was jetzt kommen würde. Ich hab mir einen Zettel genommen und aufgeschrieben, was ich gerne machen würde im Bundestag. Das hab ich später abgearbeitet. Aber es war nie so etwas da wie Stolz oder Glück oder große Freude.

Weiß: Wenn ich den Wahltag erinnere, war schon Glück da und die Freude im ersten gesamtdeutschen Bundestag zu sein. Insofern war der Anfang für mich schöner als der gegenwärtige Zustand.

Köppe: Das ist bei mir genau umgekehrt. Ich hab noch 22 Sitzungswochen, und dann beginnt das richtige Leben. Das ist ein wunderbares Gefühl. Die drei Jahre, die ich hier bin, habe ich die Erfahrung gemacht, daß ich dieses Parlament nicht ändern kann. Nicht, weil die Strukturen so verfestigt sind, sondern weil die meisten Parlamentarier das so wollen. Es war klar, daß unsere Anträge nicht angenommen wer-

den.

Weiß: Ich hab in diesen drei Jahren einen Anpassungsdruck erlebt, dem ich nicht länger ausgesetzt sein will. Weniger aus der eigenen Fraktion heraus als vielmehr durch dieses Amt, wo bestimmte Verhaltensformen erwartet werden, gegen die man sich kaum wehren kann. Ich habe gespürt, daß ich dabei bin, meine Unabhängigkeit und Freiheit zu verlieren.

Herr Ullmann, die Verfassung war immer Ihr liebstes Kind. Wenn die Wiedervereinigung Hand in Hand mit einer neuen Verfassung erfolgt wäre, würden Sie dann in Bonn weitermachen, statt für das Europaparlament zu kandidieren?

Ullmann: Nein, das würde garnichts ändern. Aber in Deutschland wären wir zehnmal weiter.

Um die Verfassungsdiskussion ist es still geworden. Ein Symptom für den Zustand im vereinigten Deutschland?

Ullmann: Auch. Es ist ein Zeichen dafür, daß der Einigungsprozeß ein riesiges Demokratiedefizit hat. Herr Schäuble hat damals gesagt: Es soll keine Verfassungsdiskussion geben, es soll schnell gehen. Das hat Folgen. Die Vereinigung wurde administrativ und bürokratisch gemacht – und so ist sie eben auch.

Am 6. Mai haben Sie ihre Arbeit in der Verfassungskommission niedergelegt ...

Ullmann: Ich hatte die Gewißheit, daß da nichts herauskommt. Ich kann doch nicht an einem Unternehmen teilnehmen, wenn ich feststelle, daß es all dem widerspricht, was ich im Verfassungskuratorium mit vertreten habe. Inzwischen bin ich der Ansicht, daß unsere Verfassung an einer bestimmten Tradition hängt. Und die wird nun mal von der CDU und ihrem Pendant in SPD und FDP vertreten. Das ist eine erstarrte Tradition.

Köppe: Schlimm war es, daß einerseits in der Verfassungskommission immer gesagt wurde: Wir brauchen an der Verfassung nichts zu ändern. Andererseits liefen außerhalb der Kommission die Grundgesetzänderungen.

Ullmann: Das sind alles Veränderungen, die der Tradition des Grundgesetzes widersprechen. Ein Hauptgedanke des parlamentarischen Rates war doch: Wir machen jetzt ein Präliminargrundgesetz, und die Verfassung kommt dann später. Jetzt müßte sie kommen – aber sie kommt nicht. Auf diese Weise wird das Grundgesetz altmodisch. Die vorwärtsweisenden Stücke darin stehen als Denkmäler da. In der Kommission waren wir uns in vielen Sachen einig, quer durch die Parteien. Aber von außen wurde alles abgeblockt. Wir hätten in der Kommission die schönsten Sachen machen können, die Regierungsfraktion hätte es niedergestimmt.

Weiß: Das ist eine Frage der Mehrheit ...

Ullmann: ... aber einer verknöcherten Mehrheit. Daß sie unser Land schon ruiniert hat, sieht man ja an der Olympia-Bewerbung von Berlin. Neun Stimmen haben wir noch in der Weltöffentlichkeit. Gott möge dafür sorgen, daß die Macht dieser Mehrheit begrenzt bleibt. Sie würde sonst noch sehr viel Unsinn anrichten.

Kandidieren Sie, Herr Weiß, auch deswegen nicht mehr, weil es im Bündnis 90/Grüne Querelen gegeben hat? Würden Sie überhaupt noch aufgestellt?

Weiß: Also, Kampfeslust hab' ich. Ich werd' auch weiter politisch aktiv sein. Wenn ich gewollt hätte, hätte ich mich schon um einen Platz gerauft. Aber ich wollte nicht. Außerdem bin ich eitel genug zu glauben, daß ich meine Arbeit gut gemacht habe ...

Köppe: Ach, Konrad ...

Weiß: Es ist keine Resignation und kein Frust. Ernüchterung, ja. Über das, was hier möglich und nicht möglich ist.

Was waren für Sie die größten Erfolge?

Köppe: Ach, Erfolge. Ich hab sehr intensiv am Stasi-Unterlagen- Gesetz gearbeitet – das ich letztendlich abgelehnt habe. Auch im Bereich Innere Sicherheit und im Schalck-Untersuchungsausschuß. Bei diesem Ausschuß hatte ich eher als anderswo die Möglichkeit, etwas zu beeinflussen. Da konnte ich auf Probleme hinweisen, auf die sonst keiner hingewiesen hätte – zum Beispiel auf die Verknüpfung von Schalcks Koko mit dem Westen. Alle Parteien, die sonst in dem Ausschuß sitzen, sind in dieser Hinsicht belastet. Sowohl die Regierungsparteien als auch SPD und PDS. Wir hatten eine besondere Rolle, die ich sehr gut ausnutzen konnte.

Und warum verbuchen Sie das nicht als Erfolg?

Köppe: Vielleicht hab ich zu hohe Ansprüche. An andere und auch an mich. Ich bin gleichzeitig sehr unzufrieden mit der Arbeit im Ausschuß und auch mit meiner eigenen. Auch dort waren die Strukturen wieder so hinderlich. Ich weiß, wie viele Akten es gibt, und weiß, was da drin steht, und wie viele brisante Sachen enthalten sind, die ich eben nicht reinbekomme in den Ausschuß. Ich spüre deutlich, wo blockiert wird. Wenn man die Arbeit des Ausschusses daran mißt, was wir eigentlich hätten tun müssen, kann ich unsere Arbeit nicht als Erfolg verbuchen.

Sie haben immer betont, Frau Köppe, daß sie sich als Vertreterin des Neuen Forums verstehen. Haben Sie im Bundestag Erfahrungen gemacht, die Sie dem Forum nur schwer vermitteln konnten?

Köppe: Verantwortlich bin ich vor allem mir selbst – wobei ich mich bemühe, meine Entscheidungen zu vermitteln. Das ist aber ganz schön schwer. Was hier abläuft, ist von außen oft überhaupt nicht nachvollziehbar, die Eigendynamik nur schwer zu erklären.

Wie war Ihr Verhältnis innerhalb der Gruppe im Bundestag?

Köppe: Auch in unserer Gruppe gibt es seit langem Anpassungstendenzen an das Parlament. Wir acht vom Bündnis 90/Grüne erleben, daß wir in diesem Parlament Minderheit sind. Und wir wissen, wie wenig Minderheit zählt. Gleichzeitig spielt aber diese Gruppe der acht Parlament nach, benimmt sich genauso. In ihr gibt es auch eine Mehrheit und eine Minderheit. Und die Mehrheit, die eigentlich im Parlament auch Minderheit ist, benimmt sich gegenüber der Minderheit in der Gruppe, wie sie selbst behandelt wird. Ich finde es selbstverständlich, daß bei acht Leuten zwei oder drei verschiedene Auffassungen bestehen. Ich finde es eher peinlich, wenn ich große Fraktionen sehe, wo 300 Leute angeblich eine Auffassung haben. Ich hab' gedacht, wir könnten ein Gegengewicht schaffen, untereinander anders mit uns umgehen. Inzwischen ist es aber so, daß – wenn unterschiedliche Auffassungen zu einem Thema bestehen – nur die Mehrheitsmeinung transportiert wird. Sobald Menschen im Parlament sind, passen sie sich den Strukturen an. Deswegen gibt es auch wenig Hoffnung, daß das Parlament von innen verändert wird.

Sie, Herr Weiß, haben sich in Ihren öffentlichen Äußerungen ja nicht gerade an die Mehrheitsmeinung gehalten.

Weiß: Natürlich war ich meiner Gruppe gegenüber solidarisch und habe manchmal etwas nicht gesagt, was ich hätte sagen sollen. Aber im großen und ganzen hab ich versucht, meine Meinung zu vertreten. Es hat einen Punkt gegeben – bei der Blauhelmdebatte – wo die eine Hälfte von uns von der anderen über den Tisch gezogen worden ist. Das war für mich eine sehr schlimme Erfahrung. Das hat auch dazu beigetragen, daß das Klima im Augenblick sehr kühl ist.

Köppe: Ich würde es immer richtig finden, daß jeder, der eine andere Position vertritt, die Möglichkeit hat, das zu sagen. Wir haben jahrzehntelang erfahren, wie schrecklich das ist, wenn so etwas verboten wird. Deswegen ist es in unserer Gruppe so besonders wichtig, daß wir es anders machen als die anderen.

Vereinigtes Deutschland im Jahre vier. Was braucht diese Republik?

Weiß: Daß sie aufwacht. Aufwacht aus dieser Lethargie, aus diesem Wohlstandsdenken. Die Leute müssen endlich mündig werden. Im Osten konnte sich das Eigene nicht entwickeln. Dadurch fehlte die Kraft und die Stärke, dieses ganze Deutschland anders zu machen. Ich sehe mit ganz großer Sorge die ganzen restaurativen Tendenzen. Abschaffung des Asylrechts, Ausdehnung des Auftrages der Bundeswehr an der Verfassung vorbei, die Unterminierung der Rechte der Arbeiterinnen und Arbeiter, Aushebelung der Tarife. An solchen Punkten bekomme ich Angst. Ich glaube, daß sich dieses Land auf einem ganz schlimmen Weg befindet. Wenn die Parteien so weiter machen wie bisher, muß es in einer neuen Diktatur enden. Die Parteien müssen sich besinnen – auf die Demokratie. Weg von der Macht um der Macht willen, hin zu ihrem eigentlichen: den Bürgerinnen und Bürgern zu dienen. Ich benutze bewußt diesen altmodischen Ausdruck. Ich verstehe diese Arbeit hier als Dienst.

Köppe: Die Bilanz ist düster. Sozialabbau, Demokratiedefizite und stärkeres Fremdsein zwischen Ost- und Westdeutschen. Das ist in der Tat sehr beängstigend. Ich hab' nicht die Hoffnung, Konrad, daß Parteien zu bewegen wären, Dienstleistungsorgane zu werden. Ich glaube, viel notwendiger ist es, daß Menschen sich unabhängig von Parteien begreifen und in der Lage sind, aufeinander zu zugehen und Interesse aneinander zu finden. Daran scheint es mir in diesem hochzivilisierten Land zu mangeln. Dieser schrecklichen politischen Entwicklung kann man, glaub' ich, nur entgegenwirken, wenn man versucht, außerhalb dieser festen Strukturen – die uns tagtäglich beweisen, daß sie nichts lösen – gegen diese Entwicklung anzuarbeiten.

Was heißt das umgesetzt in Realpolitik?

Köppe: Diese Politik kann doch nur so stattfinden, weil die überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung es entweder richtig findet – was ich nicht glaube –, oder aber weil sie nur zuschaut, vielleicht resigniert und sich sagt, es hat keinen Zweck. Aus dieser Lethargie muß man rauskommen.

Weiß: Deswegen sind Bürgerbewegungen, aus denen politische Verantwortung erwächst, so wichtig. Zukünftig müßten die Parlamente offen sein für solche Bewegungen. Auch wenn sie nur temporär und nach vier Jahren verschwunden sind. Das heißt, abgehen von dieser undemokratischen Fünfprozenthürde, Änderung des Parteiengesetzes, Chancengleichheit bei Parteienfinanzierung ...

Ullmann: Zu Beginn der Verfassungsdiskussion habe ich immer betont, daß die Bürgerbewegungen eine wichtige Rolle in der Demokratie spielen müßten. Und es gibt ja überall Bürger, die sich rühren. Die politische Kompetenz, die da vorhanden ist, muß in einen sinnvollen Kontakt zu den Repräsentationsgremien kommen. Das wir als Bündnis 90 hier sitzen, ist schon ein Signal in diese Richtung.

Köppe: Aber wenn dann Bündnis 90/Die Grünen die Mehrheit hätten oder in einer Regierungskoalition säßen, würden sie auch nicht sagen: Jetzt holen wir mal die Bürgerbewegungen rein ...

Das Gespräch führten

Julia Albrecht und Bascha Mika

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