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■ Kritik des „Bosnien“-Parteitags von Bündnis 90/GrüneDie große Verweigerung

Vorweg: Die eigenen Parteitage zu kommentieren, ist immer ein etwas heikles Unternehmen. Wenn aber, wie in Bonn geschehen, die Redeliste so ausfällt, daß die SprecherInnen der Minderheit kaum zu Wort kommen, muß die Debatte öffentlich weitergeführt werden.

Wer gehofft hatte, der Fall der Mauer und die direkte Begegnung zwischen Ost und West würde politische Innovationen beflügeln, wurde schon in den letzten drei Jahren eines Schlechteren belehrt. Die Grünen machen von dieser allgemeinen Tendenz zur politischen Regression im neuen Deutschland offenbar keine Ausnahme.

Was ist das Signal des grünen Sonderparteitags zu Bosnien? Vordergründig die Bekräftigung des Prinzips Gewaltfreiheit – in einer Absolutheit, die es bei den Grünen nie zuvor gegeben hat, wenn es um „antiimperialistische“ Gewalt ging. Hinter dieser Botschaft steckt ein psychologisches Moment, das in Bonn mit Händen zu greifen war. Es ging nur am Rande um die Frage, wie die Vertreibung und Vernichtung der muslimischen Bevölkerung in Bosnien und die Zerstörung einer jahrhundertealten multiethnischen Gesellschaft zu stoppen ist.

Im Vordergrund stand die Befestigung der grünen Identität in einer unsicheren politischen Landschaft. Hie die Großmachtpolitiker der Bundesregierung, die humanitäre Motive zur Remilitarisierung der Außenpolitik mißbrauchen – dort Friedensbewegung und Grüne, die standhaft an Abrüstung und zivilen Konfliktlösungen festhalten. Leider ist die Welt so einfach nicht mehr zu sortieren. Bosnien ist gerade kein Exerzierfeld von militaristischen Ambitionen von Bundesregierung und Nato. Die bosnischen Muslime sind ja deshalb der ethnischen Säuberung ausgeliefert, weil sie von „Imperialisten“ wie „Antiimperialisten“ gleichermaßen im Stich gelassen werden.

Nicht diejenigen fördern die Wiederkehr nationalistischer Kriegspolitik, die für eine militärische Absicherung von Lebensmittelkonvois und die Auflösung der Internierungslager in Bosnien plädieren, sondern die internationale Passivität gegenüber der serbisch- kroatischen Aggression. Die Lektion aus dem Verhalten der UNO und der EG, repräsentiert durch Owen und Stoltenberg, heißt: Kriegerische Eroberungen und Grenzrevisionen zahlen sich aus. Das wird noch andere ermutigen.

In Bosnien wird auch die Hoffnung auf eine gemeinsame europäische Friedensordnung zu Grabe Ralf FücksFoto: Jürgen Eis

getragen. Die KSZE hat abgedankt. Es gibt kein System kollektiver Sicherheit ohne Beistandsverpflichtung gegenüber den Opfern militärischer Aggression. Die Verweigerung dieses Beistands durch die Völkergemeinschaft wird den Rückfall in nationale militärische Sicherheitspolitik beschleunigen, den Bündnis 90/Grüne doch so vehement bekämpfen wollen.

Zu den Standardbegründungen für die bedingungslose Absage an Militär als Mittel der Politik gehörte die Berufung auf die deutsche Geschichte. Das ist eine merkwürdige Lektion. Als wären nicht der Attentismus Englands und Frankreichs gegenüber Francos Sturmangriff auf die spanische Republik und die Appeasement- Politik von München 1938 Meilensteine auf Hitlers Weg in den Weltkrieg gewesen, als wäre Kontinentaleuropa nicht mit militärischer Gewalt vom deutschen Faschismus befreit worden. Die Lehre aus dieser Geschichte heißt doch: Von deutschem Boden soll nie wieder Krieg ausgehen – nicht aber, daß ausgerechnet die Deutschen sich völkerrechtlich legitimierten Aktionen der Vereinten Nationen entziehen sollten! So richtig die Parole „Ohne uns!“ gegenüber imperialen Kriegsabenteuern ist, so verheerend ist sie als Verweigerung von Nothilfe für bedrohte Völker. Hier schlägt die „bessere Moral“ in Zynismus um. Durch die Bonner Debatte zog sich wie ein grüner Faden die Weigerung, den internationalen Kontext mitzudenken, in dem deutsche Außenpolitik steht. Die Vereinten Nationen, so hieß es, müßten erst an Haupt und Gliedern reformiert werden, bevor sie als internationale Autorität auftreten dürften. Die Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) wird ebenso ausgeblendet wie die EG und wie die Probleme, die der Umbruch im ehemaligen sowjetischen Imperium aufwirft. Die Debatte um eine humanitäre Intervention bei den französischen Grünen wurde ebenso ignoriert wie die Stellungnahme von Überlebenden des Warschauer Ghetto-Aufstandes nicht zur Kenntnis genommen wurde. Ausgerechnet die Grünen, die sich als Bollwerk gegen nationale Engstirnigkeit verstehen, reden einer außenpolitischen Isolierung der Bundesrepublik das Wort.

In Bonn wurde offenkundig, daß wir über keine außen- und militärpolitische Konzeption verfügen, wenn man die Beschwörung gewaltfreier Konfliktlösungen und den Ruf nach Auflösung der Bundeswehr nicht schon für Politik hält. Selbstverständlich wissen auch Ludger Volmer und Freunde genau, daß der fundamentalistische Standpunkt von Bonn unhaltbar wird, wenn nach der kommenden Bundestagswahl Bündnis 90/Grüne in die Verlegenheit von Koalitionsverhandlungen kämen. Dabei geht es nicht um vorauseilenden Gehorsam gegenüber der SPD, sondern um eine realitätstaugliche Position, mit der wir in die Neudefinition der Rolle von Bundesrepublik und Bundeswehr eingreifen können.

Jetzt droht in dieser Frage das gleiche Elend wie in der Asylpolitik. Hier haben die Grünen die rein rhetorische Forderung nach „offenen Grenzen“ hochgehalten, während die CDU/CSU erfolgreich die faktische Abschaffung des Asylrechts betrieb und die SPD hinter sich herzog. So wurde der Zeitpunkt verpaßt, eine mehrheitsfähige Plattform für eine Reform des Asylrechts in Kombination mit Einwanderungsgesetz und doppelter Staatsbürgerschaft zu zimmern und damit Kohl und Stoiber eine realpolitische Alternative entgegenzustellen. Ein vergleichbarer Verlauf zeichnet sich auch für die Kontroverse um Blauhelme und Out-of-area-Einsätze der Bundeswehr ab. Während Bündnis 90/Grüne sich auf die Debatte um die Teilnahme der Bundeswehr an UN-Friedenseinsätzen erst gar nicht einlassen wollen, bohrt die Bundesregierung zielstrebig auch hier das Grundgesetz auf und zerrt die SPD hinter sich her. In Bonn fühlten sich die Grünen wie der pazifistische Fels in der militaristischen Brandung. Ich fürchte eher, wir haben uns vorläufig aus den politischen Entscheidungsprozessen um die Außen- und Militärpolitik verabschiedet – ganz zu schweigen von der Frage, wie die Moslems in Bosnien den bevorstehenden Winter überleben können. Ralf Fücks

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