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Voscherau muß mit Grünen verhandeln

Hamburgs SPD-Landesvorstand stimmt knapp für rot-grüne Koalitionsverhandlungen / Voscherau will „Essentials“ einbringen / Das letzte Wort haben die SPD-Mitglieder  ■ Aus Hamburg Florian Marten

Grünes Licht für Koalitionsverhandlungen zwischen SPD und Bündnis 90/Grünen gab am Freitag abend nach erbittertem fünfstündigem Ringen der Hamburger SPD-Landesvorstand. Verhandlungsführer bleibt der SPD-Spitzenkandidat Voscherau, der sich bis zuletzt vehement für Koalitionsverhandlungen mit der kleinen, bürgerlichen Protestgruppe „Statt Partei e.V.“ eingesetzt hatte. Die Grünen rechnen mit „schwierigen Verhandlungen mit einer in sich zerstrittenen SPD“.

Bleich, angestrengt und gewohnt schmallippig trat Henning Voscherau am Freitag abend vor die Medien: „Machst du jetzt Schluß? Kannst du das, was da von dir getragen werden muß, überhaupt noch leisten? Können die Bürgerinnen und Bürger dieser Stadt jetzt noch darauf vertrauen, daß der gesunde Menschenverstand ihres Bürgermeisters in solchen Verhandlungen zum Tragen kommen kann?“ Man habe heute eine Zerreißprobe der Hamburger Sozialdemokratie vermieden. „Die Frage aber, ob am Ende von all dem doch noch ein Scherbenhaufen steht, stellt sich erst am Ende der Verhandlungen.“ Schließlich, so Voscherau bitter, habe die Partei „gegen das Votum des Bürgermeisters und desjenigen entschieden, der noch vor drei Wochen Spitzenkandidat war“.

Mit 13 zu 11 Stimmen votierte der Landesvorstand knapp für rot- grüne Verhandlungen, legte dann aber einmütig fest, daß Voscherau die Verhandlungsführerschaft auch für die von ihm abgelehnte Konstellation Rot-Grün übernimmt. Da die Rot-Grün-Fans keine ErsatzbürgermeisterIn in petto hat, welche die Integration des starken rechten Lagers garantieren könnte, mußte „Voscherau um jeden Preis mit ins Boot genommen werden“, so ein Vorständler zur taz. Auch Hamburgs Grüne wollen Voscherau. Er ist, so wissen sie, derzeit der einzige, der den maroden SPD-Tanker noch zusammenhalten kann.

Voscherau will freilich nicht im Beiboot sitzen: „Eine Anti- Voscherau-Politik mit Voscherau als Aushängeschild wird es nicht geben.“ Der Stadtchef stellte deshalb die Bedingung, eigene „Essentials“ einbringen und das Verhandlungsergebnis mit den Grünen am Schluß auch „persönlich“ bewerten zu dürfen. Sollte er dabei „zu einem anderen Ergebnis kommen als der Landesvorstand“, sprich Rot-Grün ablehnen, müssen die knapp 20.000 Parteimitglieder zwischen Spitzenkandidat und Parteispitze entscheiden. Voscherau hatte sich während der erbitterten Auseinandersetzungen im Landesvorstand telefonisch Rat bei seinem großen politischen Vorbild, Ex-Kanzler Helmut Schmidt, geholt, in dessen Reihenhaus in Hamburg-Langenhorn er schließlich am späten Freitag abend Zuflucht suchte. Die grüne Spitzenkandidatin Krista Sager spendete per Interview Trost: Die „geschlossenen“ Grünen wüßten um die „mißliche Lage der gespaltenen SPD“, könnten ihr allerdings die innere Klärung nicht abnehmen, wollten aber „eine verständnisvolle Partnerin“ sein.

Seit dem Hamburger Wahlergebnis verschärft sich in der Landes-SPD eine innere Spaltung, die schon längst überwunden schien, zeigt sich eine Ratlosigkeit, die auch den Zustand der SPD in Bonn und anderswo charakterisiert: Soll die SPD einen klaren Rechtsruck vollziehen, Richtung law and order steuern, auf den Umweltschutz pfeifen und die Wirtschaft mit Großprojekten im Stil der 60er Jahre auf Vordermann bringen? Oder soll sie in eine rot- grüne Reformpolitik durchstarten, das Modell der Bundesländer Hessen und Niedersachsen zum Modell Deutschland erklären?

Voscherau setzt auf ersteres. In Verhandlungen mit den Grünen will er deshalb – wie einst grüne Fundis – „Essentials“ einbringen, die er „für das Gedeihen der Stadt für unverzichtbar“ hält: Infrastruktur-Großprojekte wie die Elbvertiefung, den Bau von Stadtautobahnen, gigantische Strompreissubventionen für Alu- und Stahlwerke, Massen-Wohnungsbau ohne Rücksicht auf Ökologie und Stadtentwicklung, ein grünes Ja zu einer harten Polizeipolitik – allein das Thema „Hafenstraße“ gilt ihm als kompromißfähig. Voscherau ist damit weiter von der modernen Mitte seiner Partei entfernt als diese von den Grünen. Das Mitte- Links-Lager der Hamburger SPD hält es mit dem Ministerpräsidenten Niedersachsens, Gerhard Schröder, der seinen Hamburger Parteifreunden bereits 1990 bei einem Besuch in Hamburg ins Stammbuch schrieb: „Der nationale Rausch wird verfliegen. Die ökologischen und sozialen Probleme werden in den Vordergrund rücken und dann wird es heißen: Welche politische Konstellation wird das Modernste anbieten für die 90er Jahre? Unsere rot-grüne Landesregierung in Niedersachsen, das ist eine Konstellation, die wird vier Jahre und mehr gehen und bringt die Leute und politische Kräfte zusammen, die etwas bewegen wollen und können.“

Voscherau dagegen glaubt, er allein stehe mit seinem „gesunden Menschenverstand und Augenmaß“ für das „Gemeinwohl der Stadt Hamburg“, das er durch einen Teil der grünen Politikkonzepte in seinen Grundfesten bedroht sieht. Rot-grün gesinnte Spitzen-Sozis sind sich denn auch einig: „Wenn Voscherau nicht noch begreift, daß in der Konstellation Rot-Grün eine Chance liegt, dann wird es ein Desaster geben.“

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