Kein Platz mehr für DiabetikerInnen

■ Zwei Krankenhäuser in Zehlendorf und Wilmersdorf sollen im Rahmen der geplanten Bettenkürzungen geschlossen werden / Bei keinem Hausarzt werden die PatientInnen so intensiv betreut und angeleitet

Bei jedem Bissen muß Else P. vorsichtig sein. Ständig rechnet sie Broteinheiten aus und überprüft die Kalorienangaben der Lebensmittel, die sie zu sich nehmen darf. Else P. ist eine der 160.000 DiabetikerInnen in Berlin. Daß sie trotz hohen Alters – sie ist fast neunzig – ihre Krankheit im Griff hat, ist nicht selbstverständlich. Nicht mehr ständig auf ÄrtzInnen angewiesen zu sein, sondern sich das Insulin selbst zu spritzen, hat sie erst im Wilmerdorfer „Krankenhaus für Diabetes“ gelernt. Damit kann aber bald Schluß sein: Nach dem Willen von Gesundheitsstaatssekretär Detlef Orwat sollen in dem Krankenhaus in der Bundesallee – Träger ist das Deutsche Rote Kreuz (DRK) – alle 148 Chroniker-Betten wegfallen. Ebenfalls geplant ist, das Zehlendorfer DRK-Fachkrankenhaus für geriatrische Rehabilitation mit 130 Betten zu schließen – der Krankenhaus-Rahmenplan sieht vor, in den nächsten vier Jahren 5.500 Betten im psychiatrischen und chronischen Bereich abzubauen.

Jörg-Rudolf Finn, seit 14 Jahren Chefarzt der Diabetes-Klinik, kann die Senatsentscheidung nicht verstehen: „Unser Krankenhaus ist ständig zu 92 Pozent ausgelastet.“ Kein Hausarzt behandle DiabetikerInnen so intensiv wie die Klinik in Wilmersdorf. Hier werde eine genaue Diagnose des Krankheitsbildes erstellt. „Oft geben die Hausärzte aus Unkenntnis zuviel Insulin, bei uns werden die richtigen Mengen ermittelt“, sagt der Chefarzt aus Erfahrung. Außerdem sei es Ziel der durchschnittlich zwei- bis fünfwöchigen Behandlung, PatientInnen in Lehrgängen und Schulungen die Krankheit besser verständlich zu machen. Staatsekretär Orwat sieht das anders: „Schulungen sind nicht unbedingt die Aufgabe eines Krankenhauses.“ Er bezeichnet im Gegensatz zum DRK den Wegfall der Betten nicht als „Schließung“, sondern will bis 1997 den „tatsächlichen Bedarf“ feststellen. Die Sozialverwaltung werde die Notwendigkeit des Diabetes-Krankenhauses prüfen, bei Bedarf sei die Möglichkeit gegeben, es in ein Pflegewohnheim umzuwandeln.

Im Krankenhaus „Nansen“ in Zehlendorf werden PatientInnen aus Akut-Krankenhäusern behandelt, die beispielsweise am Hüftgelenk operiert wurden und einen Schlaganfall hatten – sie brauchen eine besonders intensive Betreuung. Eine durchweg positive Bilanz kann Eva-Maria Wehling, Pressesprecherin des DRK, ziehen: „Hier wurde genauso wie in der Bundesallee eine gute fachliche Arbeit aufgebaut.“ Sie ist überzeugt, daß Staatssekretär Orwat die drohenden Schließungen zurücknimmt, denn das DRK habe die besseren gesundheitspolitischen Argumente. Julia Naumann