Das Ende einer unendlichen Geschichte

■ In der Berliner Politik herrscht allseitige Zufriedenheit über den gestrigen Umzugsbeschluß des Bundeskabinetts

Der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen war nach der gestrigen Senatssitzung froh, daß mit dem Beschluß des Bundeskabinetts zum Regierungsumzug der „Abschluß einer langen verzehrenden Diskussion“ erreicht ist. In der Freude schwang allerdings zugleich die Befürchtung mit, daß der Bundestag dem ganzen Kalkül noch einen Strich durch die Rechnung machen könnte. Denn der Beschluß über den Standortwechsel der Bundesregierung wurde vorbehaltlich der noch ausstehenden Entscheidung des Parlaments über seinen eigenen Umzug getroffen. Die Fraktionen der Regierungsparteien werden in der nächsten Woche beraten.

Diepgen kehrte dieses Junktim ins Gegenteil um und forderte, daß der Bundestag bei seiner Entscheidung „die Entscheidung der Bundesregierung angemessen berücksichtigt“. Nach seinem Dafürhalten bedeutet das, daß das Parlament „in der übernächsten Legislaturperiode seine Arbeit hier aufnehmen muß“. Diepgen ist optimistisch, daß dies auch so geschieht, und fühlt sich in seiner Haltung durch die höchst seltene Allianz der Umzugsbefürworter Scharping, FDP, Kohl und Schäuble bestätigt.

In der Stunde seines Sieges fand Diepgen gar tröstende Worte für den unterlegenen Gegner in dieser „unendlichen Geschichte“. Er habe Verständnis dafür, daß die Entscheidung von der Bevölkerung im Raum Bonn-Köln mit gemischten Gefühlen aufgenommen werde. Doch schaffe dies „Planungssicherheit“ für den Raum Bonn. Die Verläßlichkeit der Politik sei „festgestellt“ worden.

Festgestellt wurde von der Bundesregierung allerdings auch, daß sie für die Kosten der Verkehrsinfrastruktur an ihrem künftigen Arbeitssitz nicht aufkommen werde. Deshalb griff Diepgen gestern auf einen bereits bei der Olympiabewerbung bewährten Rechenmodus zurück und erklärte, daß das, was für die Infrastruktur aufgewendet werden müsse, „nicht hauptstadtbedingt“ sei, gleichwohl aber, da Berlin „teilungsbedingt benachteiligt“ gewesen sei, „vom Bund ausgeglichen“ werden müsse. Allerdings räumte er ein, daß es in dieser Frage „unterschiedliche Positionen zwischen dem Bund und uns und den anderen Ländern“ gebe. Bei den Infrastrukturmaßnahmen, die für die Funktion der Verfassungsorgane notwendig seien, werde es jedoch, so Diepgens Einschätzung, „keine Probleme geben“.

Zumindest Bündnis 90/Grüne hegen Zweifel an dieser Einschätzung. Die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Michaele Schreyer forderte gestern den Senat auf, „endlich eine schnell realisierbare und vor allem finanzierbare Verkehrsplanung vorzulegen“. Die geplante „Tunnelorgie“, die mittlerweile das größte Umzugsrisiko darstelle, müsse endlich ad acta gelegt werden. Von der Bundesregierung erwartet die Grünen-Abgeordnete, daß die ersten Ministerien in zwei oder drei Jahren vom Rhein an die Spree ziehen.

Auch die FDP-Vorsitzende Carola von Braun geht davon aus, daß ihre Parteifreunde im Bundeskabinett „bereits vor 1998 ihre Arbeit in Berlin aufgenommen haben“. Während der Fraktionsvorsitzende der CDU, Klaus Rüdiger Landowsky, resümierte: „Bundeskanzler Kohl hat Wort gehalten“, kam der SPD-Landesvorsitzende Ditmar Staffelt zu dem Schluß, Scharpings Vorschlag sei der beste Weg, den Umzug von 1996 an Schritt für Schritt zu realisieren. Dieter Rulff