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Schwestern unterm Patriarchat

Literarische Mikrogeschichte der viktorianischen Epoche. Margret Forster leiht in ihrem Roman „Die Dienerin“ einer Zofe die Stimme und macht aus den Nebensätzen der Literaturgeschichte ein gewichtiges Epos  ■ Von Stephanie Tasch

Seit John Aubrey in der Mitte des 17. Jahrhunderts begann, die „Brief Lives“ seiner Zeitgenossen aufzuzeichnen, hat sich der britische Hang zum Biographischen nachgerade zu einer nationalen Obsession ausgewachsen. Er orientiert sich, wen wundert's, traditionell am herausragenden Individuum, selbst noch dann, wenn es sich, wie unlängst in der ehemaligen Kolonie Amerika geschehen, um den präsidialen Spaniel handelt. Zofen hingegen können wohl kaum als biographiewürdig angesehen werden. Oder etwa doch?

Nun, ließe sich sagen, würdig wohl schon, aber mangelt es nicht an Material? Zofen hinterlassen gemeinhin weder Regierungserklärungen noch Briefwechsel, sie sind vielmehr Nebensätze in der Korrespondenz ihrer Herrinnen. Margaret Forster hat eine Biographie Elizabeth Barrett Brownings verfaßt; in ihrem Roman „Die Dienerin“ wendet sich ihr Interesse derjenigen zu, die der viktorianischen Dichterin fast zwanzig Jahre die Haare kämmte: ihrer Zofe Elizabeth Wilson. Der deutsche Titel betont in seiner Übertragung von „Lady's Maid“ statt der schlichten Berufsbezeichnung die Subordination eines Berufsstandes, der doch einfach „Zofe“ heißt, und nicht etwa, wie es die an dieser Stelle ungelenke Übersetzung will, „Damenbedienung“.

Diese Wilson also, wie alle Dienstboten höheren Ranges mit ihrem Nachnamen angesprochen, ist stetig präsent in den Briefen Elizabeth Barrett Brownings. Forsters Absicht war es, dieser Frau eine Stimme zu geben, die Nebensätze zu einem Leben zu ergänzen. Sie rekonstruiert eine Vita, die kaum zu trennen ist von der Dichterin. Für den Leser beginnt denn auch Wilsons Leben 1844 mit ihrem Eintritt in den Londoner Haushalt der Barretts, und es endet, lange vor ihrem Tod, 1861 mit dem Elizabeth Barrett Brownings in Florenz.

Elizabeth Wilson und Elizabeth Barrett Browning, das ist im Roman eine symbiotisch enge Verbindung, deren Problematik in einem von Elizabeth Barrett Browning überlieferten Diktum deutlich wird: Ihre Zofe sei kein Dienstbote, sondern eine Freundin. Die Beziehung der beiden Frauen bestimmt, mit allen Ambivalenzen, Wilsons Lebensbeschreibung. Für Forster sind sie eindeutig Schwestern unter dem Patriarchat; zu Beginn des Romans verbindet sie ihre Isolation von der (Männer-)Welt der Metropole London – die eine, weil sie krank, die andere, weil sie eine Dienstbotin ist. Auch in ihrer Abhängigkeit von Mr. Barrett bestehen zwischen der Dichterin und ihrer Zofe nur graduelle Unterschiede. Die Macht des Vaters wird gebrochen durch Elizabeth Barretts heimliche Heirat mit dem Dichterkollegen Robert Browning; gefolgt von der fluchtartigen Übersiedlung ins italienische Exil, markiert dies – ironisch genug – einen Höhepunkt auch in Wilsons Leben.

Der Perspektivenwechsel von der Dichterin zur Zofe schränkt den Blick ganz bewußt ein: Vor einem Horizont geographischer Weite erfährt man vor allem von der Enge des Privaten. Die Außenwelt ist eine Fremde, die weder in London noch in Italien näher erkundet wird. Elizabeth Barrett Brownings Schreiben findet für Wilson buchstäblich hinter verschlossenen Türen statt; in Florenz verläßt Robert Browning die Wohnung in der Casa Guidi, um andere Mitglieder der anglo-florentiner Kolonie zu treffen, und die politischen Enthusiasmen der einen Elizabeth, etwa für Napoleon III., verwirren die andere zutiefst. Durch Wilsons Erlebnis- und Erfahrungshorizont entfaltet sich ein Panorama des Lebens „below stairs“, und man lernt eine Menge über die starren Hierarchien eines Londoner Großbürgerhaushalts der Jahrhundertmitte, über die Plagen des Reisens mit dem neuen Verkehrsmittel Eisenbahn und schließlich über die Eigenarten des Sehnsuchtslandes ihrer Herrschaft für eine Frau, die sich auch in Arkadien um sehr alltägliche Dinge zu kümmern hat. Das Leben, ein Bildungsroman: 1847 erscheint Carlotte Brontäs „Jane Eyre“, und Parallelen dieses Romans einer weiblichen Selbstfindung, der Wilson etwas gönnerhaft zur Lektüre anempfohlen wird, mit Forsters „Dienerin“ scheinen keineswegs zufällig. Aus der verhuschten neuen Zofe der ersten Kapitel wird am Ende eine selbstbewußte Person, die Ehefrau des italienischen Dieners Ferdinando, Pensionswirtin und (fast) alleinerziehende Mutter, deren Geschichte nach aller gehäuften Mühsal der Emanzipation mit dem triumphalen Satz enden kann: „Sie war keine Dienerin mehr.“

Möglich wird diese vollkommene Unabhängigkeit nur durch den Tod Elizabeth Barrett Brownings, und sie wird mit einer, auch im Umfang, an viktorianischen Vorbildern orientierten Lektüre erkauft, die zumindest in dieser Leserin eine gewisse Gereiztheit produzierte: Margaret Forster bürdet der armen Wilson ein prototypisches schweres Frauenschicksal des 19. Jahrhunderts auf, wie es schöner und schauriger im anglistischen Seminar nicht hätte erfunden werden können, und sie gibt ihr, was der wunderbaren Jane Eyre zur Freude der Leserin fehlt: Larmoyanz. Mrs. Ogilvy, eine langjährige Freundin von Elizabeth Barrett Browning, bemerkt in ihren Erinnerungen sehr hellsichtig über die reale Wilson, sie habe das Talent gehabt, sich zum Opfer zu machen. Ihre literarische Schwester besitzt dieses Talent im Übermaß.

Margaret Forster: „Die Dienerin“. Roman. Aus dem Englischen von Dietlind Kaiser. Arche Verlag, 667 Seiten, geb., 48 DM.

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