: Haitis Armee schlägt UNO in die Flucht
■ Die verhinderte Landung einer ersten UNO-Vorhut offenbart die Stärke der vom Militär ausgeführten haitianischen Demokratiegegner / USA interventionslustig, Haitis Demokraten ohne Schutz
Port-au-Prince/ Washington (wps/taz) – Als das Schiff mit 193 US-amerikanischen und 25 kanadischen Soldaten in den Hafen der haitianischen Hauptstadt Port-au- Prince einrücken wollte, stand die Gegenseite schon bereit. Eine Gruppe von mehreren hundert Bewaffneten stand auf dem Kai und demonstrierte gegen die „Ausländer“. Neben ihnen standen Polizisten – und taten nichts. Der nicht kampffähige US-Marinetransporter „Harlan County“ hätte nicht anlegen können – die Hafeneinfahrt war mit Booten blockiert. Es hätte den Amerikanern auch nichts genützt, zu versuchen sich den Weg freizuschießen: Nur ihre Offiziere trugen Waffen. Die amerikanische Truppe, Vorhut einer UNO-Mission, war schlechter ausgerüstet als ihre Gegner.
Die Gegner – das sind Angehörige und Anhänger das haitianischen Militärs, das 1991 den gewählten Präsidenten Jean-Bertrand Aristide aus dem Land jagte und nun mit allen Mitteln verhindern will, daß er nach seiner für Ende Oktober vorgesehenen Rückkehr wieder die Macht ergreift. Ausnutzen können sie dabei, daß Haiti zwei Regierungen hat – die Putschistenjunta unter Armeechef Paul Cédras und eine UNO-gestützte Interimsregierung unter Premierminister Robert Malval. Das resultiert aus dem am 3. Juli unter UNO-Vermittlung zwischen Aristide und Armeechef Paul Cédras geschlossenen Abkommen, das die Rückkehr des Präsidenten unter UNO-Aufsicht für den 30. Oktober festlegt. Die Armee hat nur 8.000 Mann, aber das Gewaltmonopol; kraft der Macht der Gewehrläufe steht sie über dem Gesetz, ein Staat im Staate, dessen Zustimmung zu Aristides Rückkehr als Präsident nur durch das Versprechen einer umfassenden Amnestie erkauft wurde. Die Militärs akzeptieren Aristide nur um der internationalen Wirkung willen als formalen Präsidenten. Daß er reale Macht ausübt, wollen sie verhindern.
Dementsprechend gestehen sie auch der UNO-Mission, die Aristides Rückkehr überwachen soll, keine Macht zu. Es gilt, die insgesamt 1.300 UNO-Soldaten, UNO- Polizisten und UNO-Beobachter, hauptsächlich aus den USA, Kanada und Frankreich, die bis Ende Oktober in Haiti gelandet sein sollen, so einzuschüchtern, daß sie gegen eventuelle Vertragsbrüche nichts unternehmen.
Einschüchterung und Vertragsbruch nannten UNO-Stellen denn auch, was sich am Montag in Port- au-Prince abspielte. US-Botschafterin Vicki Huddleston traf gegen halb neun Uhr morgens zur Begrüßung der US-Soldaten am Hafen ein und wurde selber von einer feindlichen Menge begrüßt, die Journalisten und Diplomaten angriff und vertrieb. Die schwarz- rote Fahne der 1986 ins Exil geflohenen Diktatorenfamilie Duvalier prangte über dem Protestmarsch der Aristide-Gegner. „Verbrennt die Ausländer!“ riefen sie. „Tötet die Weißen!“ Soldaten und Polizisten in Uniform leiteten Busse mit Demonstranten auf Parkplätze und dirigierten die Marschierer.
Die Anhänger der Diktatur stürmten den staatlichen Radiosener und appellierten an das Volk: „Kommt zum Hafen, damit die Ausländer sehen können, daß wir nicht nur eine kleine Gruppe von Uneinsichtigen sind.“ Das Volk kam nicht. Ein Lehrer, der aus seiner Haustür trat, wurde erschossen, Einkäufer rannten in Panik aus den Märkten.
„Was heute passiert ist“, sagte UNO-Sonderbeauftragter Daniel Caputo später auf dem US-Botschaftsgelände, „liegt in der ausschließlichen Verantwortung der haitianischen Streitkräfte.“ So leicht werden UN- und US-Soldaten von einer bewaffneten Bande mit mächtigen Freunden in die Flucht geschlagen – und es ist weder der erste noch der letzte Akt in dem sich zuspitzenden Machtkampf. Seit Wochen werden Aristide-Anhänger und Mitglieder der Interimsregierung auf Haiti eingeschüchtert und auch ermordet; Sympathien für Aristide äußern Haitianer gegenüber Journalisten nur hinter vorgehaltener Hand, und nach neun Uhr abends wagen sie sich aus Angst vor den Todesschwadronen nicht mehr auf die Straße. Am Wochenende warnte Cédras, das Militär werde sich keiner Zivilbehörde unterordnen. Laut dem Juli-Abkommen soll er übermorgen, am 15. Oktober, als Armeechef zurücktreten; seine Anhänger wollen das nicht. Statt dessen forderte der Rechtspolitiker Reynold Georges über das besetzte Radio den Rücktritt Malvals binnen 72 Stunden.
Auf wessen Hilfe können Haitis Demokraten zählen? Die US- Truppen werden nicht in Haiti landen, solange ihre Sicherheit nicht garantiert ist, sagte jetzt US-Außenminister Warren Christopher. Aber wer außer ihnen selbst könnte das tun? US-Presseberichten zufolge herrscht in US-Militärkreisen nach den Erfahrungen in Somalia Skepsis, was eine größere Intervention in Haiti angeht. „Das wird nicht funktionieren“, wird ein Beamter des US-Verteidigungsministeriums zitiert. „Wir werden uns dort nicht hineinschießen. Um nichts in der Welt.“ D.J.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen