: Amerikas Außenpolitik auf Abwegen
■ Clinton hat sich mit Somalia verzettelt, und auch Haiti verspricht einen Reinfall
Haben die USA eine klare Außenpolitik? In einer Umfrage des amerikanischen TV-Senders ABC sind etwa 70 Prozent der Befragten nicht dieser Meinung – zumindest was Somalia und Haiti angeht. Mit 56 Prozent ist der Anteil jener, die mit Clintons Umgang mit internationalen Problemen unzufrieden sind, deutlich geringer, aber noch immer in der Mehrheit.
Nicht nur die US-amerikanische Öffentlichkeit hat offenbar Schwierigkeiten mit Clintons Schlingerkurs. Im US-Senat geistern noch immer Bestrebungen herum, die Gelder für die Somalia- Militärmission zu sperren.
Und in der UNO sowie unter haitianischen Demokraten herrscht Enttäuschung über die Weigerung der USA, stärkeren Druck auf das Militär des Karibikstaates auszuüben, um es zur Respektierung der im Juli mit Exilpräsident Aristide getroffenen Vereinbarung über dessen Rückkehr unter UNO-Aufsicht Ende dieses Monats zu zwingen.
Weder der UNO-Sonderbeauftragte für Haiti, Dante Caputo, noch der Aristide-freundliche haitianische Premierminister, Robert Malval, wurden zuvor von der US- Entscheidung informiert, das Schiff „Harlan County“ mit 200 UNO-Blauhelmen aus den USA und Kanada an Bord wieder abzuziehen, nachdem bewaffnete Demonstranten am Montag seine Landung in Haitis Hauptstadt Port-au-Prince verhindert hatten. Und die neue UNO-Sicherheitsratsresolution 873 zu Haiti, die am Mittwoch einstimmig verabschiedet wurde, sieht keinerlei militärischen Druck vor.
Statt dessen wird Haitis Militärherrschern ein Ultimatum bis 5 Uhr früh am Dienstag, den 19. Oktober gesetzt, um das Juli- Abkommen umzusetzen. Andernfalls werden die Auslandskonten der Militärführer eingefroren und ein neues Öl- und Waffenembargo tritt in Kraft. Welche Bedingungen im einzelnen erfüllt werden müssen, um das zu vermeiden, führt die Resolution nicht weiter aus. Möglicherweise ist gemeint, daß den UNO-Blauhelmen die Landung in Haiti erlaubt werden muß. Eine Bedingung war schon vorher klar: Der vertraglich vereinbarte Rücktritt von Raul Cédras als Armeechef zum heutigen Freitag. Doch der stellt Bedingungen: Das haitianische Parlament müsse eine Amnestie für Offiziere beschließen, die der Verletzung von Menschenrechten beschuldigt werden. Außerdem dürften UNO-Truppen auf Haiti nur mit Handfeuerwaffen ausgerüstet sein.
Ob Aristide unter solchen Bedingungen nach seiner Rückkehr sicher wäre? Ein Konflikt, dessen Fronten nicht eindeutig zwischen US-Regierung und UNO verlaufen, ist bereits deutlich: Die einen sagen, US-Truppen sollten haitianischen Boden erst dann betreten, wenn bereits ein „sicheres Umfeld“ existiert. Andere wiederum meinen, sie würden ja gerade entsandt, um dieses Umfeld zu schaffen. Zu den ersten gehören die Außen- und Verteidigungsminister der USA – und damit wird auch der schnelle Rückzug vom Dienstag begründet. Für das andere Lager steht der Haiti-Beauftragte der UNO, Caputo, aber auch Clintons Haiti-Berater Lawrence Pezzullo.
Der Konflikt entspringt zum großen Teil den jüngsten Erfahrungen der USA in Somalia. Die offizielle Linie der US-Regierung – und inzwischen auch der UNO- Zentrale – steht für eine „Afrikanisierung“ der Somalia-Friedensschaffung sowohl auf politischer wie auch militärischer Ebene, wofür der US-Rückzugstermin 31. März 1994 steht. Auch die Beratungen des US-Sonderbotschafters Robert Oakley in Mogadischu und der Besuch des UNO-Generalsekretärs Butros Ghali in Ägypten stehen in diesem Zusammenhang. Andererseits bekräftigt UNO-Sonderbeauftragter Jonathan Howe noch immer die Existenz eines Haftbefehls gegen Milizenchef Farah Aidid, und in Washington wurde jetzt bestätigt, es sollten nicht nur 1.700, sondern 3.000 zusätzliche Bodentruppen nach Somalia entsandt werden.
Die neue Zahl ist in einem Bericht Präsident Clintons an den US-Kongreß enthalten, in dem er einer Forderung der Parlamentarier entspricht, bis zum 15. Oktober Rechenschaft über die Somalia-Politik der USA abzulegen. Der Bericht kritisiert die UNO und spielt die Ziele der Somalia- Mission herunter. Die Mission habe eine strikt humanitäre Zielsetzung, die sie auch größtenteils erfüllt habe, heißt es. Allerdings habe es „ernste Probleme“ in der internen Koordination gegeben, und die UNO habe „wesentliche Fehltritte“ begangen. „Zu keinem Zeitpunkt“, heißt es, „sind US- Streitkräfte mit solchen Aufgaben wie nation-building beauftragt worden.“ Das widerspricht den meisten bisherigen Rechtfertigungen der USA für die weitere Teilnahme an der im Mai begonnenen UNO-Mission nach dem Ende der ersten US-Intervention vom Dezember 1992. Allerdings spricht sich der Bericht auch gegen einen „frühen, schnellen Rückzug unter Druck“ aus, der zum „Zusammenbruch“ der UNO-Mission und der Rückkehr von Hunger und Anarchie in Somalia führen würde.
Diese Aussagen scheinen vor allem auf innenpolitische Wirkung zu zielen, um den im Kongreß starken Abzugswillen zu mindern. Doch lassen sie auch erkennen, daß sich die US-Diplomatie mit Somalia jetzt sehr viel sicherer fühlt als mit Haiti – und sie erreicht dort auch offenbar mehr: Die beiden seit dem 3. Oktober von Aidid- Anhängern in Mogadischu festgehaltenen UNO-Soldaten, ein US- Amerikaner und ein Nigerianer, wurden gestern mittag freigelassen.
In Haiti dagegen ist eine Entspannung nicht in Sicht. Dominic Johnson
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