Die ganze Wahrheit als Fiktion

■ Erfundene und wahre Frauengeschichte beim Festival „Frauen in der Aufklärung“

Noch im Zeitalter der Aufklärung wurde ernsthaft darüber debattiert „ob die Weiber Menschen seien“. Und erst recht umstritten war, ob sie auch Künstlerinnen sein könnten — dabei waren sie's schon längst.

In welchem Umfang Frauen in den Künsten des 18. Jahrhunderts tatsächlich vertreten waren — als Malerinnen, Komponistinnen und Schriftstellerinnen — darüber staunten die Initiatorinnen und Organisatorinnen des historischen Frauenkunst- und Kulturfestivals, Iris Bubenick-Bauer und Uta Schalz-Laurenze, am Ende selbst. Über 800 Dramen, von Frauen geschrieben, spürten sie auf und entdeckten 245 Komponistinnen neu: „Davon könnten wir ein einjähriges Festival bestücken.“ Nun wird es eine Woche, ab 27.11., alles unter dem Titel: „...ihr werten Frauenzimmer, auf! — Frauen in der Aufklärung“.

Vor gut zwei Jahren haben sie begonnen, in Bibliotheken und Archiven nach Quellen zu graben, die Einblick in das künstlerische Schaffen von Frauen gaben und gleichzeitig deren Arbeits- und Lebensbedingungen aufdeckten — das Ergebnis der Recherchen wird sich eine ganze Novemberwoche lang sehen lassen können: Zum Beispiel im Bilderkabinett mit den Werken von Angelika Kaufmann, Mary Moser und Ludovike Simanowitz (siehe unser Bild). Oder im Theaterstück über den Briefwechsel zwischen Madame d'Epinay und Rousseau, in dem die Madame uns ihre Positionen in bislang ungekannter Deutlichkeit darlegen wird: Ihre Worte sind Fiktion, weil sie in Wirklichkeit nicht überliefert wurden — wie auch die Kompositionen von Anna Martinez und Camilla da Rossi in Vergessenheit gerieten, die nun im Dom aufgeführt werden sollen.

In beeindruckender Vielfalt haben sich bremische Kultureinrichtungen zur Kooperation zusammengefunden — vom Bremer Theater über die evangelische Kirche bis zum Institut Francais. Für einen eigenen bremischen Schwerpunkt ist gesorgt mit einem Beitrag der Historikerin Hannelore Cyrus.

Das dem Festival ein Vortrag der US-amerikanischen Historikerin und Feministin Gerda Lerner als Highlight vorausgeht, ist programmatisch: Nicht von belanglosen Nachbetrachtungen vergangener Zeiten wird das Festival handeln; vielmehr sollen die Fragen nach den Frauenrechten, die das 18. Jahrhundert bewegten, in den Veranstaltungsthemen auch in ihrer heutigen Brisanz berücksichtigt werden: „Frauen sollen in ihrer Eigenschaft als Opfer, aber auch als Täterinnen und Mittäterinnen vorgestellt werden,“ betonte Iris Bubenick-Bauer. Und mehr noch: Die aktuelle Verletzung von Frauenrechten wird dabei nicht ausgeklammert; Vertreterinnen des Centers of Women War Victims in Bosnien werden über ihre Situation berichten. ede

Beginn des Festivals mit dem Vortrag von Gerda Lerner am 29.10. in der Villa Ichon (“Die Entstehung des feministischen Bewußtseins“); Festivalwoche vom 27.11. — 2.12.93