Fauler Zeitgeist-Zauber

■ Oliver Bukowskis „London–L.Ä.–Lübbenau“ im theater 89

Im Fieber des Einheitsjahres zählten nicht wenige Soziologen zu den lästigen Mahnern. Sie konnten mit verhältnismäßig einfachen Mitteln errechnen, wie viele Bevölkerungsgruppen nicht mehr integriert und von der Wiedereinrichtung der Marktwirtschaft nicht profitieren würden, nämlich ein Viertel bis ein Drittel der arbeitsfähigen Bevölkerung der DDR.

Dem Berliner Autor Oliver Bukowski ist der dramatische Konflikt derer, die in dieser Gesellschaft keine Zukunft haben und die alle Lebensplanung daher auf früher oder später einstürzende Illusionen gründen müssen, nicht entgangen. Draus gemacht hat er einen Schwank für zwei Personen. Ein älterer Mann verliert seine Arbeit, mit den letzten Ressourcen und ohne Vorbereitung eröffnt er mit seiner Frau einen Getränkeladen. Sie führen ihn nach den Hinweisen aus der Regenbogenpresse zur Marktwirtschaft.

Das Interesse an der Lustpartie durch ein aktuelles Thema erlahmt nur allzu bald. Bukowski läßt seinen Figuren keine eigene Erfahrung, er macht sie nur lächerlich. Die Frau plant schließlich den gemeinsamen Selbstmord – eine schlüssige Tragik. Allerdings verschleudert Bukowski die Dramatik, um nicht in die Tiefe gehen zu müssen. Im Moment, in dem die beiden sich mit dem Gasherd vergiften, haben sie sechs Richtige im Lotto, wie aus dem laufenden Fernseher zu erfahren ist. Mit dreistem Fatalismus wird die Faulheit des Autors übertüncht.

Die Inszenierung von Hans Joachim Frank setzte der Oberflächlichkeit und dem Hohn des Stückes keine Inszenierungsidee entgegen. Und so agieren die Spieler mit der handwerklichen Grundausstattung. Sie weinen, schreien, reden – und erzeugen eine aufgesetzt wirkende Alltags-Buntheit. Das abstrakte Bühnenbild (Anne-Kathrin Hendel) klebt erkennbar am Spielort Garage. Die Kostümierung in häßlicher Unterwäsche macht den zarten Anfall von Abstraktion wieder zunichte.

Der eine helle Moment der Inszenierung ist kurz. Simone Frost als Frau spricht von einer Zukunft, von der sich jedoch nicht einmal der kleinste menschenwürdige Abglanz oder Vorschein zeigt. Gelegenheit für den Mann (Johannes Achtelik), brutal dreinzufahren und die gemeinsame Zukunft mit dem Stuhlgang zu vergleichen, der bei den einen regelmäßig funktioniert, bei den anderen erst gar nicht, aber dann dafür ganz plötzlich. Von solch grober Phantasterei läßt sich die Frau nicht ablenken und ist ein Mensch in einer Welt, die von ihm nichts wissen will. So erlebt man einen kurzen Moment das stille, einsame Masen-Elend, gegen das ein vorlautes Stück eigentlich protestieren wollte. Berthold Rünger

Bis zum 24.10. tägl. außer Mo. und Fr. um 20.30 Uhr im theater 89