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Lebewesen in Form von Würfeln

■ Ausstellung zur Taxi-Geschichte: Kutscher saßen vor 90 Jahren auf dem Elektromotor

Ein Blick in die Geschichte ist nicht immer ein Blick zurück. Wer die gerade eröffnete Taxi-Ausstellung im Museum für Verkehr und Technik besucht, wird überrascht sein, daß vor 90 Jahren Droschken bereits mit einer Technik angetrieben wurde, die erst heute im Solarzeitalter wieder populär wird: dem Elektromotor.

1882 flammten die ersten elektrischen Straßenlaternen am Potsdamer Platz und in der Leipziger Straße auf. 1897 wurde ein Pferde- Omnibus auf Akkubetrieb umgerüstet, und als erste Elektromobildroschke nahm am 13. Februar 1900 ein Fahrzeug der „Berliner Fuhr- und Automobilwesen Thien GmbH“ seinen Betrieb auf. Das Fuhrwerk legte täglich 60 Kilometer zurück. 1918 waren bereits 529 E-Droschken angemeldet.

Doch auch sie ereilte dasselbe Schicksal wie die Pferdekutschen – im Vergleich zum Verbrennungsmotor kamen Rösser und Elektroantrieb nicht richtig auf Touren. Die Zahl der Fiaker war 1906 mit über 8.000 Exemplaren auf dem Höhepunkt und nahm von da an rapide ab. Selbst der „Eiserne Gustav“ konnte mit seiner Protestfahrt im Frühjahr 1928 von Berlin nach Paris nicht verhindern, daß „eine Erlaubnis zum Pferdedroschkenbetrieb nicht mehr erteilt wird“.

Damit war die Zeit der Roßlenker besiegelt, die der Droschkenunternehmer Konrad Döring als „Lebewesen in Form von Würfeln“ beschrieben hatte. Als Kind hatte der Berliner in den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts des öfteren für die Familie einen Wagen „zweiter Güte“ – es gab damals verschiedene Tarife – „zur Stelle zu schaffen“. Die kubische Form der Kutscher sei von den Pelerinemänteln, den uniformartigen Livréeröcken, dem halben Dutzend Unterjacken und roten Westen gekommen. Die Füße dieser lebenden Würfel steckten in ungeheuren Stiefeln, „die der Sage nach bei Kälte unten mit Stroh gefüllt gewesen sein sollen“.

Berlin war neben Köln aber nicht nur Spielwiese für technische Neuerungen wie den Akkuantrieb. Die Nazis, die nach der Machtübernahme 1933 sich auch das Taxigewerbe einverleibten, präsentierten zur Eröffnung der 11. Olympischen Spiele 1936 in Berlin das erste seriengefertigte Taxi mit Dieselantrieb. Doch der technisch vorbildliche Mercedes 260 D – mit 33 anderen Fahrzeugen aus mehreren Jahrhunderten und der gesamten Welt im Museum für Verkehr und Technik zu sehen – war nur Stückwerk nationalsozialistischer Propaganda, die von der Wirklichkeit schnell überholt werden sollte. Schon 1939 stellten Taxiunternehmer ihre Fahrzeuge auf Gasbetrieb um, weil auf Grund des gerade begonnenen Krieges Benzin und Diesel rationiert wurden. Dann zogen die Machthaber deutsche Taxen für Kriegszwecke ein, Wagen ausländischer Marken wurden von den Rüstungsstrategen verschmäht. „Vergnügungsfahrten“ mit den wenigen verbleibenden Droschken wurden verboten – Juden durften gar nicht befördert werden.

Jahrzehnte später sollten auf Grund wirtschaftlicher Engpäße ein zweites Mal Taxen auf Gasbetrieb umgestellt werden – im Ostteil der Stadt. Wolga-Wagen fuhren ab 1988 wahlweise mit Flüssiggas oder knappem Benzin. Einer der „Gaz-24“-Limousinen ist ebenfalls Exponat der Ausstellung – allerdings im Keller. Dirk Wildt

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