Bösartigkeiten in Gibichungen

■ Mit „Götterdämmerung“ Wagners „Ring des Nibelungen“ in der Hamburg Oper vollendet

Endlich mal eine gute Idee! -Starke Stiere sollt ihr schlachten, dröhnt Hagen zur Feier der Stunde. Und eine Stunde später hängt der da, oh Pappmachépracht, baumelt kopfunter und efeugeschmückt vor dem riesigen Antennenschirm, der sich unheilvoll im Hintergrund aufspannt. Das goldene Kalb im Wohnzimmer der hochtechnisierten Schaltzentrale von Gibichungenland.

Es ist geschafft, es rundet sich. Wagners Ring des Nibelungen, der Totalmythos von „der Welt Anfang und Ende“ ist mit dem vierten Teil, dem „Ende“, zum Abschluß gebracht. Und doch, wir dürfen es vorwegnehmen, das Ende, es rundet sich nicht: Die goldene Kugel, einst in Rheingold aus dem Rhein gefischt und vom Gründerzeitkapitalisten Alberich zersägt, will ein Ganzes nicht mehr werden. Hilflos hantieren die Rheintöchter mit den Splittern und wenden ihren resig- nierten Blick ans Publikum. Es ist alles kaputt. Gleißend fährt das Erlösungsmotiv aus dem Orchestergraben, einmal, zweimal. Dann brüllt das Publikum begeistert los.

Götterdämmerung ist Zeitkritik. Gezeigt werden die Intrigen am Hof der Gibichungen, Meineid, Treuebruch, Brudermord und der Tod eines Helden: Siegfried. Eine durch und durch korrupte Gesellschaft, die eigentlich nur schwer als Symbol für deutsche Größe taugen kann. Doch wir kennen die Geschichte, der Mythos hat seine Unschuld verloren, und ihn naiv zu erzählen, verbietet sich schon von daher. Günther Krämer will das auch nicht, er will die Abgründe aufreißen, die Bösartigkeiten und Mißverständnisse zwischen den Figuren deutlich zeigen. Er entscheidet sich für eine psychologische Kleinarbeit, für die sanfte Andeutung, daß es heute ja auch nicht anders sei. Die Protagonisten bewegen sich im modischen Zweireiher, das Inventar ist von heute. Zeitkritik.

Andreas Reinhardt hat einen Raum entworfen, der sich blitzschnell von einem intimen zu einem öffentlichen verwandeln läßt. Eine gigantische Jalousie verkürzt die Bühne und erzeugt, je nach Stellung der Lamellen, unterschiedliche Lichteffekte. Mit einer solchen Blechgardine läßt sich gut spielen, mal sperrt sie aus, mal sperrt sie ein. In dieser Welt wird Hagen zur Hauptfigur. In statuarischer Unberechenbarkeit berechnet er alles und jeden. Der großartige Matti Salminen zeigt diese Figur in einer Gewalt, die umhaut. Siegfried sowieso. Tatsächlich wirkt Siegfried (sic!) Jerusalem von Anfang an etwas blaß neben diesem Hagen. Gar nicht so richtig Held... Entsprechend reagiert Brünnhilde: Die sehr präsente Gabriele Schnaut zeigt eine fast mütterlich umsorgende Geliebte, die am Ende, weise geworden, mit ihrem toten Ex dem Weltenbrand zueilt.

Diese Inszenierung hat starke und schwache Momente, will man überhaupt das Konzept eines gesungenen Kammerspiels, gewissermaßen Ibsen als Oper, teilen. Treffend etwa, wie Gutrune (Linda Plech) erwartungsvoll mit dem Siegerkranz in Händen dasteht und dann, als der Zank losgeht, vor Peinlichkeit gar nicht weiß, wohin damit. Beeindruckend wie Hagen seinen Speer, nachdem er Siegfried erstochen hat, an den Händen des blöde staunenden Gunther (Jürgen Freier) abwischt. Auf der anderen Seite aber enttäuscht eine vor allem im Bühnenbild kühle, nichtssagende Techno-Art, die altmodisch modisch wirkt. Irgendwie unzeitgemäß, als Spaß von gestern. Gestern, vor der deutschen Wiedervereinigung. Doch scheinen diese Inkonsequenzen nur konsequent auf die anderen Teile des Ringes, an die Krämer mit Götterdämmerung anknüpft. Insofern war dieser letzte Teil auch keine Überraschung, sondern das logische Ende der Hamburger Gesamtinszenierung.

Umso größer war die Freude, die uns Gerd Albrecht und das Sängerensemble bereitet haben: Glänzend disponierte Sänger und vor allem ein zweiter Aufzug, der an Dynamik und Plastizierung der Motive, an musikalischer Tiefendimension nichts zu wünschen übrig ließ. Endlich mal ein überzeugendes Dirigat!

Martin Koziullo